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Ansichten und Einsichten der Diskussion im PC-Virenforum

"Ich verfluche den Tag, an dem ich mir eine Festplatte zugelegt habe!". Erste Reaktionen auf das Wissen um ComputerViren. Während im ersten Block des Virenforums hauptsächlich sachliche Informationen über ComputerViren vermittelt und von den Teilnehmern ergänzt wurden, war für den zweiten Teil eine Diskussion über die Folgen und den Umgang mit ComputerViren geplant.

Als die Bayrische Hackerpost im Frühjahr 1985 erstmals über Computerviren berichtete, stand die ComputerWoche Kopf und verglich Hacker mit der RAF. Eine Panikreaktion. Derartige Informationen aus solch einer Ecke sind wohl eher geeignet, kriminelle Potentiale zu entwickeln, war die Schluß"folgerung" der ComputerWoche. Das Unverständnis, dieses Thema zu bewältigen, führte zum Aufbau eines Feindbildes. Solchen Auswüchsen wollte sich der CCC in seiner Informationspolitik nicht aussetzen. Deshalb setzte schon Mitte '86 eine Diskussion über ethische Fragen beim Umgang mit ComputerViren ein. Ziel unserer Informationspolitik sollte nicht "Panikmache" oder das Heraufbeschwören einer Gefahr sein, sondern eine öffentliche Diskussion zur Vermittlung eines gesteigerten Unrechts- und Problembewußtseins. Der Chaos Communication Congress wurde als Forum bestimmt. Der Congress bietet eine Atmosphäre des Miteinanders, etwas, das auf kommerziellen Veranstaltungen unmöglich ist: offene Diskussion ohne Vorbehalte.

Im wesentlichen stellte sich die Frage: wie weit geht die Informationspolitik? Setzen wir uns bei der Veröffentlichung eines SOURCE-CODES dem Vorwurf aus, Bauanleitungen für logische Bomben zu verbreiten? In wieweit regen wir Nachahmungstäter an? Stellt schon eine detaillierte Veröffentlichung dieses Wissens eine Gefahr dar? Hier ergaben sich die unterschiedlichsten Betrachtungen.

Festzustellen war, daß Programmierer von ComputerViren mit ihrem Wissen bisher sehr verantwortungsvoll umgehen. Viele von ihnen fragen sich, was
sie überhaupt damit machen sollen. Die Skrupel vor dem Vireneinsatz sind unterschiedlicher Natur. Ein Programmierer meinte: "Ich habe soviel Arbeit investiert, jetzt will ich auch sehen, was passiert" (auch die Atombombe mußte ausprobiert werden). Überwiegend sprachen die Congress-Teilnehmer sich gegen die bloße Veröffentlichung von Programmquellcode aus. Und wenn, dann nur mit eindeutigen Informationen über die Folgen und den Umgang mit ComputerViren. Einzelnen erschien schon die Beschreibung "überschreibender" und "nichtüberschreibender" Viren als zu detailliert. Fast durchgängig forderten die Teilnehmer eine offene Informationspolitik. Die freie Forschung im Sinne des "Free Flow Of Information Act" soll helfen, positive Ansätze zu entwickeln.

"Veranstaltungen wie der CCC'86 erzeugen keine entscheidende Veränderung beim Umgang mit Computern. Sie vermitteln eher ein Bewußtsein von der Tragweite des Handelns" formulierte ein Teilnehmer. Bisher wird, was ComputerViren betrifft, der Kreis der "Informierten" noch als sehr klein eingeschätzt. Daß detaillierte Informationen über ComputerViren Nachahmungstäter anlocken, muß in Kauf genommen werden, wenn der schleichenden Entwicklung entgegengearbeitet werden soll. Die Geschichte hat gezeigt, wie gefährlich es ist, Sicherheitsfragen von der offenen Diskussion unter Fachleuten auszunehmen. Die Affäre um Sicherheit oder Unsicherheit des Geheimcodes der deutschen Führung im zweiten Weltkrieg ist als abschreckendes Beispiel oft genug erwähnt worden. Vielmehr erwarten Congressteilnehmer die Einleitung einer öffentlichen Diskussion über die "Restrisiken" neuer Technologien. Gerade die Popularität des CCC, der seit jeher technikkritische Themen erörtert, soll helfen, dieses Thema einer offenen Diskussion zuzuführen.

Erstaunlich waren Thesen über "WiderstandsViren". So sahen einige Congressteilnehmer in ComputerViren ein legitimes Mittel zum Volkswiderstand gegen unmenschliche, zentralisierte Grossrechenzentren. Auch deuten einige Hinweise aus der Scene auf einen Virusangriff gegen die Volkszählung hin, Parallelen zum Science Fiction-Roman "Der Schockwellenreiter", in dem John Brunner (Heyne SF 3667) schon 1975 das Bild einer computerabhängigen Welt zeichnete, die durch ein "Wurmprogramm" befreit wird, sind erkennbar.

Frankreich entschied sich im Gegensatz zur BRD bewußt gegen die Einführung eines maschinenlesbaren Ausweises. Der Grund: Demokratische Systeme benötigen einen Spielraum, der Widerstand gegen diktatorisches Takeover ermöglicht. So wurde die Forderung laut, dieses technisch spezialisierte "Herrschaftswissen" auch als "WiderstandsWissen" zu fördern. Dem entgegen stand der überwiegende Teil der Besucher mit der Auffassung, daß Hacker sich nicht außerhalb der Gesetze stellen wollen, sondern eher einen Spielraum ausnutzen, um auf Gefahren aufmerksam zu machen.

Weitgehend unberücksichtigt blieb in den Diskussionen das Potential krimineller Kräfte, die sich Vorteile durch den Einsatz von Viren verschaffen könnten. Weiterhin dürfen politische Gegner, sowie Geheimdienste und terroristische Gruppen bei der Gefahrenabschätzung nicht vergessen werden. Wo ökonomische oder ideologische Beweggründe vorliegen, ist die Gefahr einer VirusAttacke weitaus wahrscheinlicher als aus den Reihen der privaten Computeranwender. Diese handeln viel eher verantwortungsbewußt.

So wurden Forderungen laut, daß ComputerSysteme, die personenbezogene Daten verarbeiten oder hochkritische Steuerfunktionen (zB. in Atomkraftwerken) übernehmen, absolut virensicher sein müssen. Andernfalls darf man derartige Aufgaben nicht solchen anfälligen Technologien überantworten. Weiterhin muß eine ethische Barriere gegen den Computermißbrauch, aber auch gegen den fahrlässigen Computergebrauch aufgebaut werden. Folgend sollen Forschungsergebnisse die Entwicklung von Abwehrmechanismen ermöglichen. Die Erhöhung der "Risikoschwelle" (schnellere Entdeckung) ist jedoch nur eine technische Hilfe, die weiterhin ein "Restrisiko" aufweist.

"Das Problem sind nicht die ComputerViren, sondern die Katastrophen, die durch die Abhängigkeit von Technologien entstehen", so die Schlußfolgerung eines Congress-Teilnehmers. Nach Jahren bedenkenloser Technologiegläubigkeit forderten die ersten technischen Mega-Katastrophen (Bhopal, Tschernobyl, Basel) ihre Opfer. Der CCC fordert seit langem eine sozialverträgliche Gestaltung von Technologien. Die unverträgliche Verbraucherhaftung bei Mißbrauch von Bildschirmtext oder Euroscheckkarten waren einige kritische Ansätze aus der letzten Zeit. Die ComputerViren stellen nun eine neue, äußerst brisante Erscheinung im Kräftespiel moderner Techniken dar. Wissenschaftler erörtern seit einiger Zeit "The Ultimate Error Message", den Weltkrieg durch einen Computerfehler.

Die Aufarbeitung des CCCongress'86 anhand einer Videodokumentation zeigt bisher unerörterte Bereiche auf. Die Redaktion geht davon aus, daß in den nächsten Monaten weiteres Material über ComputerViren veröffentlicht wird.

Der CCC veranstaltet daher am 18. und 19.April '87 ein weiteres VirenForum. Ein Anmeldeformular erscheint in der DATENSCHLEUDER 19. (Zum April wird auch die Videodokumentation über den CCC'86 fertiggestellt sein.)

 

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