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Kontaktadressen, halbtote und tote Briefkästen

Gelegentlich braucht mensch eine Möglichkeit, Nachrichten zu empfangen ohne seine Identität preiszugeben.

Die Post bietet als Dienstleistung dafür die Postlagerkarte. Es reicht, auf einem (Haupt-)Postamt aufzutauchen und sich ohne Ansehen der Person eine Postlagerkarte ausstellen lassen. Das ist gebührenfrei und ermöglicht es allen, die die Postlagerkarte haben, beim betreffenden Postamt "gewöhnliche" Briefsendungen (also keine Einschreiben usw., näheres in der Postordnung) abzuholen ohne weitere Prüfung irgendwelcher Berechtigungen. Als Adresse auf dem Brief schreiben Absenderinnen nur die Kennung "An Postlagerkarte XY-007, 2000 Hamburg 1" (das ist eine fiktive Kennung!). Weitere (Namens-)Zusätze sind nicht nur überflüssig, sondern dumm. Datenschutz beginnt bei der Datenquelle: Jedes Bit, das unnötigerweise Dritten preisgegeben wird, ist zuviel.

Viel angenehmer als die postalisch verwaltete Anonymität ist eine Kontaktadresse bei einer Institution wie dem Schwarzmarkt in Hamburg. Dort kann nicht nur Post hingeschickt werden, sondern der Schwarzmarkt ist seit Jahrzehnten auch ein Treffpunkt unterschiedlichster Menschen. Auch wenn dort (überwiegend?) ComputerhasserInnen sitzen, ist es - gerade für Gruppen wie den Chaos Computer Club - viel gemütlicher als auf dem Postamt.

Das Eintreffen von z. B. ungewöhnlich viel Post wird über so ein persönliches Informationsnetz viel besser weitergeleitet; die Postlagerkarte dagegen verlangt regelmäßigen Besuch des jeweiligen Amtes. Für das Aufgeben von Kleinanzeigen mag die Postlagerkarte praktisch sein, um die Chiffregebühr zu sparen. Ihr Nachteil liegt in der Beschränkung auf gewöhnliche Briefe; es läßt sich kein Exemplar des Quelle-Kataloges für den Chaos Computer Club ordern.

Eine andere Möglichkeit ist der halbtote Briefkasten. Der sieht auch auf den zweiten Blick wie ein ganz normaler Briefkasten aus, der neben anderen Briefkästen im Flur hängt, die Briefträger zu füllen pflegen. Nur das Anbringen des Briefkasten geschah ohne irgendjemand zu fragen.

Für einfachste Sicherheitsbedürfnisse reicht das Anbringen weiterer, u. U. wechselnder Namen am eigenen Briefkasten. Einen weit höheren Sicherheitsstandard bieten Tote Briefkästen

Hier ist nicht Btx, der wohl toteste Briefkasten der Welt gemeint.

Tote Briefkästen sind Schnittstelle zwischen Sender und Empfänger von Nachrichten und Gegenständen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht auf dem sonst üblichen Wege weitergegeben werden sollen oder können. Viele kennen solche Einrichtungen aus der einschlägigen Spionageliteratur, Hacker brauchen Teilmengen davon im Alltag. Angenommen, Uwe sollte auf dem Heimweg einkaufen, aber Franz tat das aus unvorhersehbaren Grün-

den schon, so hinterläßt er - etwa bei den Milchtüten, die Uwe passieren muß, einen Chaoskleber mit Datum und der Aufschrift Schon eingekauft! LS4711".

Für die phantasievolle Verwendung im Alltag ist es wichtig, die Grundstruktur von Toten Briefkästen allgemeiner zu beschreiben. Ein Toter Briefkasten muß für effektives Arbeiten verschiedene Bedingungen erfüllen:

- problemlos zu leeren
- nicht zu auffällig
- gesichert gegen Leerung durch Unberechtigte
- nur kurze Zeit aktiv
- Ort und Existenz (!!!) sind nur sehr kleinem Kreis, möglichst nur AbsenderIn und EmpfängerIn bekannt.

Ein Toter Briefkasten wird stets mit Betriebs- und Sicherheitszeichen versehen (je ein Bit). Das Sicherheitszeichen befindet sich in einem etwas größeren Umfeld um den Ort des Briefkastens und soll so angebracht sein, daß Besucher des Briefkastens es sehen können, ohne ihn anlaufen zu müssen, damit BeobachterInnen nicht auf den Ort des Kastens schließen können. Das Betriebszeichen ist unmittelbar am Toten Briefkasten angebracht und signalisiert, ob der Briefkasten"voll" ist.

Wesentliche Eigenschaft beider Bits muß es sein, sich harmonisch in das Umfeld des Toten Briefkastens einzufügen. Die verwendeten Markierungen müssen in die Gegend passen. Sie müssen so beschaffen sein, daß sie auch zufällig dort sein könnten. Keiner der vier möglichen Betriebszustände darf ein geschultes, nicht eingeweihtes Auge aufhalten. Nur Eingeweihten dürfen die Bits die erforderlichen Informationen geben. Sicherheits- und Betriebszeichen müssen weiterhin so beschaffen und angebracht sein, daß sie nicht durch Zufall, Unbeteiligte oder höhere Gewalt entfernt werden können.

Wird der Briefkasten geleert, bleibt das Sicherheitszeichen aktiv, solange Sicherheit zu bestehen scheint. Das Betriebszeichen wird entfernt, wenn die Nachricht oder der Gegenstand aus dem Kasten entfernt wurde.

Wer einen Toten Briefkasten leert, muß immer damit rechnen, daß er beobachtet wird oder werden kann. Mensch sucht den Ort also unter genauer Beobachtung der Gegend auf und muß immer einen plausiblen Grund für sein Hier und Jetzt haben. Befindet sich der Briefkasten z. B. in einer Telefonzelle, so sollte mensch nicht nur telefonieren, sondern auch seine Telefonrechnung so lange nicht gezahlt haben, daß der eigene Anschluß gesperrt ist. Der Anruf sollte wirklich getätigt werden; bloßes Hörer aufnehmen reicht nicht! Wer 1191 neben einer Uhr anruft, ist doof.

Kurz: der Besuch eines Toten Briefkastens muß stets einen (anderen) nachprüfbaren Grund haben. Das reine Abholen der Sendung ist ein elementarer Verstoß gegen Sicherheitsregeln. Selbst wer Tote Briefkästen ohne aktuelles Sicherheitsbedürfnis nur zum Üben anlegt, sollte - wenn schon, denn schon - gründlich sein.

Auch hier führt konsequentes Vor-, Nach- und Umdenken auf den richtigenWeg. Mit etwas Phantasie findet sich der richtige Ort, an dem der Austausch von vertraulichem Material erfolgen kann. Informationen über Ort des Toten Briefkastens, über Sicherheits-und Betriebszeichen sowie die Anzahl der Benutzungen (möglichst immer nur einmal!) werden selbstverständlich nur mündlich im persönlichen Gespräch und in (abhör-)sicherer Atmosphäre ausgetauscht.

Jens Kaufmann

TOI3R[FH1.VVS 850731 045

 

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