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Quo Vadis Video - und wer hält Schritt?

Vor mehr als zwölf Jahren begannen Dokumentaristen erste tragbare Videogeräte als schnelles Medium zur Aufnahme und Wiedergabe von Ereignissen einzusetzen. Vielleicht hegten damals die ersten Videofilmer die Illusion, der Wirklichkeit ein Stückchen mehr Wahrheit entreißen zu können, einen Freiraum für eigene, nicht kommerziellen Verwertungszwängen unterworfene Bilder zu finden. Die Banken und die Polizei, für die die neue Technik ebenfalls interessante Anwendungen erschloß, hatten da sicherlich noch ganz andere Vorstellungen. Wie gründlich bereits 1911 die Polizei über derartige Techniken nachdachte, ist im Artikel "Die Cinematographie im Dienste der Polizei" beschrieben.


Heute jedenfalls, mit dem Fuß schon sehr weit in der schönen neuen Medienwelt, speichert und transportiert Video völlig unterschiedslos den ganzen Bilder"müll", den eine Gesellschaft hervorbringt. Und in ein paar Jahren kann man mit Video besser lügen als gedruckt. Wie perfekt schon heute Bilderfälschungen aussehen, beschreibt die letzte Ausgabe der WHOLE EARTH REVIEW. Der Schlüsselsatz lautet: Ab sofort haben Fotos keine Beweiskraft mehr!

Ein Blick in die kurze Geschicht dieser Technik (oder soll ich Medium sagen?) führt uns in die Anfangstage des Fernsehens, die vierziger und fünfziger Jahre. Nicht nur das rasch wachsende Publikum, sondern auch die Politiker waren von den Möglichkeiten und der Wirkung lebendig übertragener Bilder begeistert. 1955 wurden in der Bundesrepublik die ersten Fernseher verkauft, und nur zwanzig Jahre später findet man die Sendboten dieser schnellen Informationsmaschine bereits in fast jedem Wohnzimmer. Gegenüber der teuren und relativ langsamen Herstellung von Filmen auf Zelluloid bzw. Acetat bedeutete das Fernsehen eine enorme Temposteigerung. Allerdings war man auf Live-Übertragungen aus dem Studio beschränkt, solange es keine Aufzeichnungsmöglichkeiten gab. Für die Darstellung von Vergangenem mußte wieder der Umweg über Filmmaterial genommen werden.

Erst Ende der fünfziger Jahre stand mit "Ampex" eine magnetische Aufzeichnungsmaschine (MAZ) zur Verfügung, die es mit der Schnelligkeit der elektronischen Bilder aufnehmen, sie speichern und wiedergeben konnte. Wegen ihrer enormen Größe blieb ihr Einsatz auf das Studio beschränkt. Zehn Jahre später gab es MAZen, die immerhin im Auto transportiert werden konnten. Nur noch fünf Jahre dauerte es, bis die Anlagen klein genug waren, daß man sie auf der Schulter mitnehmen und damit vor Ort bis zu 30 Minuten Aufnahmen machen konnte, Dies war der Anfang des Mediums Video, wie wir es heute kennen.

ARD und ZDF, seit je her auf "Studioqualität" bedacht und seit 1969 farbig, konnten mit der anfälligen Schwarz-WeißAufnahmetechnik zunächst nicht viel anfangen. Aber es gab andere, die die Chancen dieser Technik erkannten und nützten. Die Banken und die Polizei waren Anfang der Siebziger die ersten, die sich der neuen kleinen Kameras bedienten, sei es für Uberwachungs-Schulungs- oder "Dokumentations"zwecke.

Und es gab eine Handvoll Begeistere auch auf der anderen Seite: Künstler und Dokumentaristen, die endlich eine Technik zu finden glaubten, die es möglich machte, Bilder und Töne gleichzeitig aus der Wirklichkeit aufzunehmen und anschließend sofort wiederzugeben. Endlich war ein Medium gefunden, das die Schnelligkeit und Nähe zur Aufnahmesituation möglich machte, ohne daß man aufwendige Hintergrundtechnik (Studios, Kopierwerke ... ) dazu benötigte. Zudem war der Umgang damit relativ einfach. Jeder konnte seine eigenen Bilder machen, unabhängig von den großen Medienapparaten. "Bürgermedium Video" war die Vision, unter der sich (Nach Vorbildern in Kanada und den USA) in der Bundesrepublik 1974 die ersten Medienzentren gründeten, deren Zahl seitdem erheblich gewachsen ist. Mit dem Konzept, für jeden offenzustehen, entstanden dort zunächst Aufnahmen von Bürgerinitiativen, Streiks, Aktionen und Demonstrationen, die anschließend gleich auf der Straße mit Monitoren vorgeführt wurden. Als "visuelles Gedächnis" sollte diese Arbeit solidarisches Handeln fördern und die eigene Geschichte festhalten.

Heute, mehr als zehn Jahre später, überschwemmt uns die Woge des Videobooms. Videorecorder stehn in mehr als 30 % aller Haushalte, während die Kinos dramatische Besuchjerrückgänge zu verzeichnen haben. Denn die großen Medienkonzerne und die Politik stehen bereit, auch den letzten Menschen mit uniformer elektronischer Ware volizustopfen. Video als schnelles Produktionsmedium hat mit den Bearbeitungsmöglichkeiten des Films gleichgezogen und sich in den Fernsehanstalten längst durchgesetzt. Heute sind die Videokameras, die ihre neugierigen Objektive überall hineinstecken, fast selbstverständlicher Teil des Alltages geworden, werden die elektronischen Einheitsbilder hergestellt und verwertet. Wer jetzt nur an verstärkte soziale Kontrolle denkt, vergißt die vielen kleinen "Bilder-Hamburger", die dabei herauskommen und die von Menschen aus lauter Verzweiflung in Massen in sich hineingestopft werden. Und wie im wirklichen Leben folgt auf die Vertopfung der Dünnschiß.

Aber wie bei jeder Großtechnologie gibt es zum Glück auch bei Video unkontrollierbare Nischen, Ecken, wo die List lauert. Jeder, der einen oder zwei Videorecorder hat, mit denen er aufzeichnen und kopieren kann, wird zum potentiellen Piraten. Heftige Kontroversen um Gesetzentwürfe (z.B. zum Copyright) zeigen, daß diese Form der Umnutzung zwar unerwünscht, aber letztlich nicht kontrollierbar ist. So kann sich jeder eigene Archive zulegen, Filme kopieren und ansehen, auch solche, die anderswo nicht zu haben sind. In Chile, wo in der Militärdiktatur die Kinos geschlossen und das Fernsehen verstaatlicht wurde, sind Videobänder, die heimlich kopiert und ausgetauscht werden, zum Mittel (Medium) einer unzensierten Gegenöffentlichkeit der Opposition geworden. Nachrichten von Aktionen, Reden von Gewerkschaftern und Freiheitskämpfern wurden so bis in die letzten Winkel des Landes verbreitet.

Im folgenden will ich die Entwicklungslinien der Videotechnik und ihrer Anwendung skizzieren, sowie sie sich heute bereits abzeichnen: Miniaturisierung und Verbilligung von Bauteilen haben der Videotechnik innerhalb einer kurzen Zeit eine Verbreitung ermöglicht wie selten einer Technologie zuvor. Während der Konsumbereich mit seinen großen Stückzahlen im wesentlichen die Entwicklungskosten trägt, haben Industrie und staatliche Organe die Videotechnik längst für ihre Anwendungen entdeckt. Fernüberwachung von Produktionsvorgängen wie von Menschen sind selbstverständlich und scheinbar nicht mehr zu hinterfragen. Kameras, die statt einer relativ großen Röhre einen Chip als Bildsonsor nutzen und damit auf Zigarettenschachtelgröße schrumpfen, lassen sich an jedem beliebigen Ort auch unbemerkt einbauen. Neuerdings.,wird dabei die Zweidrahttechnik verwendet, d.h. es sind zur Ubertragung zur Überwachungszenztrale keine speziellen Koaxkabel mehr notwendig, sondern einfache Telefonleitungen können diese Aufgabe übernehmen. Die Digitalisierung wird in der Zukunft die damit überbrückbaren Entfernungen wesentlich steigern. In den USA werden Telefonzellen und Feuermelder bereits mit Miniaturkameras bestückt. Wir werden uns also darauf einrichten müssen, daß wir permanent als Abbildungen durch die Drähte wandern.

Die Erweiterung der Kapazitäten von Datenspeichern ermöglichen den Zugriff auf Videobilder, deren höherer Informationsgehalt bisher die Verarbeitung durch Computer verhindert hat. Die Videokamera lehrt den Computer sehen. In der Fabrik weiß der Roboter, wo welche Schraube liegt, und auf Brücken montierte Kameras notieren sich die Autokennzeichen automatisch. Fortschritte in der Bilderkennung lasen sich auch von der automatischen Personenidentifizierung einiges erwarten.

Computer werden heute bereits in jeden mittleren Videomischer eingebaut, um Standbilder und Spezialeffekte zu erzeugen, während der jeweils schnellste neue Rechner gleichermaßen von der Filmindustrie wie den Militärs bestellt wird. Damit erzielte Effekte lassen sich zur Zeit bei dem neuen Logo der ARD, der scharfen 1, oder Vorspannen von Computersendungen wie Computercorner im ZDF bewundern. Diese Industrie synthetischer Bilder steht aber noch am Anfang: Angestrebt wird die Echtzeitverarbeitung von bewegten Bildern, was nichts anderes bedeutet, als daß die Bilder von den Computern nach bestimmten Vorgaben aus dem Archiv selbst erzeugt werden. Kinofilmhersteller träumen schon von neuen Filmen mit Marilyn Monroe und Humphrey Bogart, wobei der Computer zunächst Dummy-Darsteller in ihrer Mimik und Gestik analysiert und dann mit Originalabbildungen der populären Schauspieler aus Archivmaterial überlagert. Welche Folgen die dann nicht nachweisbare Fälschung von Material z.B. für die Glaubwürdigkeitvon Nachrichtensendungen haben wird, ist heute noch nicht abzusehen, ist es doch heute in den USA schon üblich, Interviews mit Leerstellen zu verkaufen, in die dann der jeweils populäre Nachrichtensprecher jeder kleinen Fernsehstation eingestanzt wird.

VideoComputergameMusic wird mit der Masse seiner Produkte für das Errichten und Aufrechterhalten einer neben der materiellen Welt mehr oder minder völlig losgelöst existierenden zweiten, dritten usf. Wirklichkeitsebene verantwortlich sein. Stanislaw Lems "Futurologischer Kongreß" wird dann vermutlich auch bei uns zur Dauereinrichtung. Der Ausstieg aus den Bilderwelten in eine vielleicht öde Wirklichkeit wird zum Geheimtip und nur für starke Charaktere zu bewältigen sein.

Noch nie gab es so viele Medien, die nur darauf warten, daß ihre Transportkanäle mit Informationen gefüllt werden, Aber gleichzeitig wird das Problem, darin so etwas wie Sinn auszudrücken, etwas, was anderen etwas mitzuteilen hat, immer größer. Inhalte treten hinter Reizabfolgen zurück, Bilder verlieren ihre Rolle als augenscheinlicher Beweis einer Wirklichkeit, die sie seit Einführung der Fotografie innehatten. Das Problem, das wir dann haben werden, wird bei überall vorhandenen Speichermedien nicht die Verfügbarkeit von Informationen und Bildern sein, sondern deren Auswahl und damit die sinnvolle Verknüpfung mit eigenem Erleben und Gedanken, schließlich die Einordnung in historische Zusammenhänge. Oder umgekehrt: wer mit Medien arbeitet, wird sich fragen müssen, wie er die schnell vorbeiziehenden redundanten Bilderfolgen (damit meine ich Bilder, Töne und Sprache zusammenganommen) mit Bedeutung so versehen kann, daß sie von anderen entschlüsselt einen Sinn ergeben.

Die Vision von eigenen Bildern, die sich den Moden dieses Verwertungsprozesses entziehen, wo die Bildermacher die Formen der Herstellung und des Vertriebs selbst in der Hand haben, scheint damit ausgeträumt. Technische Glätte und die starre Macht einer Großtechnologie drohen die Phantasien auch derjenigen zu erdrücken, die glauben, mit der Kamera bzw. dem Recorder Freiräume gewinnen zu können.

Die Mediengruppen und -zentren, die zu Beginn der Videoeuphorie die leeren Videobänder mit Inhalten zu füllen begannen, wurden von dieser Entwicklung überrannt. Die Idee des visuellen Gedächnisses", der beharrlichen Beobachtung und des Festhaltens von Ereignissen aus der allgemeinen und der eigenen Geschichte ist schon fast konservativ zu nennen. Medienzentren verstehen sich heute all Orte für Gegenbilder, die sich gegen den Strom der vorüberziehenden Bilderfluten anstemmen wollen, in einer geschwindigkeitsfanatischen Kultur.

Jörg (Stadtjournal Hamburg)
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