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An die Weltregierung

Leserbriefe

Liebe Leute vom CCC, so Herbst/Ende letzten Jahres hatte ich bei euch 1 Hackerbibel Teil 1 zu 33.33 und 64 Kleber "Achtung Abhörgefahr" A4 bestellt. Daraufhin tat sich ne Weile gar nix und ich hatte die Bestellung eigentlich auch schon abgeschrieben, bis ihr plötzlich am 4.4.86 den damals beigefügten Scheck eingelöst habt. Seitdem ist aber auch nix mehr passiert. Es wäre ganz nett von euch, wenn ihr schon den Scheck einlöst und mein armes Konto überzieht, daß ihr mir auch was schickt, denn jetzt hätte ich auch echt wieder Lust auf das Buch. Wenn ihr die Kleber nicht mehr findet, packt halt ne andere nette Sache rein. Ok??

PS: Wißt ihr, was mich an euch nervt? Ihr seid so schweine-elitär. Muß doch echt nicht sein. Ist doch nichts dabei, aus ein paar ICs witzige Sachen zu bauen und was Feines, Subtiles mit zu machen. Da braucht man doch keine Avantgarde-Crew a la CCC. Sowas ist doch Scheiße und läuft unseren eigenen Zielen zuwider! Auch der Personenkult a la Wau ist doch zum Kotzen! Lieber 1000subtile DFÜ-Crews in der Nacht, als noch eine Elite mehr.
Volker Ernst

Die CCC-Fachgruppe Weltregierung meint dazu:

Zum einen: Wir sind von Zeit zu Zeit schlicht überfordert, was das Erledigen von Bestellungen angeht. Einfach, weil es an Zeit und Leuten mangelt, die verantwortlich mitmachen. Im allgemeinen kriegen wir das aber zusammen mit den Bestellern in den Griff, ohne daß der Gerichtsvollzieher erscheinen muß. Don't panic. Es läuft nicht ganz so glatt wie bei Quelle, wofür wir um Nachsicht bitten und Besserung nicht versprechen können. In bestimmten Dingen ist der CCC aber trotzdem, so hoffen wir, die bessere Quelle.

Lieber Volker, Du solltest uns wirklich mal besuchen kommen (z.B. zum Congress), wenn Du den Eindruck hast, daß wir ein elitärer Haufen sind. Heiterkeit wird in Dein Herz einkehren, wenn Du die Realität siehst. Der CCC Hamburg ähnelt weniger einer Elite, die sich ja auch durch straffes, diszipliniertes Funktionieren hervortun müßte, als vielmehr einem rechnergestützten Flohzirkus. Dieser Flohzirkus zeigt rapide Auflösungserscheinungen, wenn mal wieder Briefcouverts zugeklebt werden müßten oder so, was u.a. zu den elastischen Lieferzeiten führt. Und er erzeugt andererseits als eine Art Gruppendynamo auch jene wunderliche Art von (technischen und politischen) Geistesblitzen, die in den letzten Jahren überall dort aufleuchten, wo sich Leute trickreich, spielerisch und kritisch mit elektronischer Datenverärgerung und Kommunikation auseinandersetzen: Bitpiloten wie Du und ich. Das, was wir alle machen, könnte man "Arbyte" nennen. Rumdüsen im Informationszeitalter. Eine Bordzeitung hältst Du gerade in der Hand.

Mit welchen Absichten wir dieses kleine aber feine Käseblättchen herstellen, und daß dies nicht zu unserer Privatbeölung geschieht, ist in dem Artikel "Thema Hacken" ausführlicher beschrieben; siehe dort. Im übrigen: Willkommen an Bord. Captain Chaos begrüßt sie und wünscht einen angenehmen Flug nach Digitalien. Bitte abzuschnallen und das Rauchen fortzusetzen, wir booten in Kürze.

Und da wir grade bei Piloten sind, noch ein Wort zum vermeintlichen Personenkult. Der Vorwurf, daß einem etwa Wau (bekannt aus Funk und Fernsehen) dauernd aus der Zeitung entgegenlacht, trifft nicht Wau, sondern die Medien. Journalisten arbeiten mit Schubladisierungen, und seit dem Btx-Coup haben sie Wau in der Lade mit der Aufschrift "Computer & Aberwitz". Dort sitzt er nun, bzw. jener Teil seiner Seele, der in der Medienlandschaft "Image" heißt. Und wenn irgendwo wieder ein armes schwaches Elektronengehirn in Ohnmacht gefallen ist, ziehen die Journalisten die Lade auf, zappklapp, und bei Wau beginnt das Telefon zu rauchen, so einfach ist das. Aus diesem Grund lassen sich beispielsweise Stammesangehörige der Massai (Ostafrika) nicht fotografieren (nicht wegen Wau, sondern wegen dem gefangenen Image)- Dieser Effekt potenziert sich dann nach dem Motto "Leute versammeln sich dort, wo sich schon Leute versammelt haben", d.h. durch die Berichterstattung kriegen nicht nur immer mehr Leser, sondern natürlich auch immer mehr Journalisten Wau in die Lade. Grade für ein so inhomogenes Sortiment von Zeitgenossen wie es Computerfreaks darstellen, ist es doch von entscheidender Wichtigkeit, über Sprecher zu verfügen, die eine weit gestreute Aufmerksamkeit finden und das Kunststück zuwege bringen, die gemeinsame Hackerphilosophie aktuell auf den Punkt zu bringen und gleichzeitig auf eine auch für Nichtfreaks verständliche Weise EDV-kritische Rauchsignale aus dem Maschinenland abzugeben. Das kann nicht jeder. Wer sich in der Medienpräsenz der Computersubkultur ein demokratisches Modell, etwa nach dem grünen Rotationsprinzip, wünscht, dem muß man zu bedenken geben, daß ein soziokybernetisches Infotop (langsam nochmal lesen) wie der CCC sich nicht wie ein Gesangsverein vor einer Fernsehkamera zusammenschieben läßt. Und nicht an Dich gerichtet, Volker, aber an jene, die vielleicht ein bißchen eifersüchtig auf das Wau-Image sind - Wer meint, daß es der reine Eitelkeitsgenuß ist, wenn man sich alle acht Wochen im SPIEGEL bewundern kann, der hat sich kräftig in den Finger geschnitten. Im öffentlichen Interesse zu stehen, zumal wenn es dabei bisweilen um Aktionen am Rande der Legalität geht, erweckt u.a. auch rasch die Aufmerksamkeit behördlicher Stellen, die einem fortan von Amts wegen ganz empfindlich im Privatleben herumrüsseln.

Für den Großteil der Bevölkerung waren Hacken und Datenakrobatik vor noch nicht allzu langer Zeit genauso obskure Angelegenheiten wie Flechtenkunde oder Ägyptologie. Von daher betrachtet war die HaSpa/Btx-Geschichte für uns alle sowas wie die spektakuläre Öffnung der Grabkammer des Tutenchamun. Statt uns in Kleingeisterei zu zernörgeln, sollten wir die Goldmaske "Image" pflegen, der es mit zu verdanken ist, daß wir unsere Grabungen in den dotierten Siliziumplättchen fortführen können, ohne umgehend im Verließ zu landen.

Nobody is Plusquamperfekt. Und grade wer sich eingehender mit Medien und Kommunikationstechnologie befaßt, wird gut wissen, daß zwischen der Person Wau ("Herr Wau aus Holland bitte zum Informationsschalter") und dem Image Wau ein wichtiger und vor allem wirklichkeitsmächtiger Unterschied besteht. In eine Bierkiste passen etwa acht SpaceShuttles, und das World Trade Center ist zirka so hoch wie eine Packung Butterkeks: Das sind die Dimensionen der Wirklichkeit, wie sie beispielsweise das Fernsehen zeigt.

Im übrigen sind wir dankbar für jeden, der uns bei der Ausübung unserer avantgardistischen und elitären Beschäftigungen, nämlich bei den verlustreichen Gefechten im Papierkrieg, beim Kaffeekochen, Sortieren, Müllrunterbringen, Interviewsgeben und 1Million-kleine-Dinge-erledigen tatkräftig unterstützt. Lieber 1000 subtile Crews, die beim Eintüten helfen, als noch eine eingegangene Zeitung mehr. Und nun das Wetter.
Ls blofeld

 

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