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Ausfall der Macht

Polizei beschlagnahmt Kleincomputer und persönliche Daten

(crd) Am 9.11.85 fand der automobile Klönschnack zweier jugendlicher Hamburger Computerfreunde ein jähes Ende. Polizisten einer Dienststelle, die sich, wie es heißt, auf die Verfolgung undefinierbarer Verkehrsverstöße spezialisiert hätten, setzten zwei Jugendliche über Stunden fest und beschlagnahmten ihren Computer sowie mehrere Floppies mit umfangreichen persönlichen Daten.

Die Polizei behauptete, sie verfolge die beiden wegen "Mißbrauch" (Postbuch S.234) bzw. "Störung von Fernmeldeanlagen"

Zitat Par. 317 Strafgesetzbuch"

(1) Wer den Betrieb einer öffentlichen Zwecken dienenden Fernmeldeanlage dadurch verhindert oder gefährdet, daß er eine den Betrieb dienende Sache zerstört, beschädigt, beseitigt, verändert oder unbrauchbar macht oder die für den Betrieb bestimmte elektrische Kraft entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Wer die Tat fahrlässig begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Zitat Ende.

Die persönliche Datenübertragung wurde von den Beamten durch Tastatureingabeverbot unterbrochen. Ein Polizist hatte die Autotür aufgerissen und rief sowas wie: "Nichts verändern!". Starr saßen die Jugendlichen, bis die Mailbox auflegte. Sie sahen nach vergeblichen Versuchen die Unmöglichkeit einer Erklärung der Zusammenhänge ein und mußten lachen über die Tragik der Polizei, völlig unschuldige Hacker bei nichts zu erwischen.

Dann mußten sie hinten im Peterwagen Platz nehmen. Die Kindersicherung wurde aktiviert

Nach kurzer Zeit traf der erste telepathisch alarmierte Hacker ein und machte Fotos. Leider war darauf nur eine hellerleuchtele Hamburger Sparkasse zu sehen.

Nach zweieinhalb Stunden traf der erste Postsachverständige ein, eine halbe Stunde später der zweite. Beide stellten nichts fest außer einer ordnungsgemäßen ortsveränderbaren Datenübertragung mit einer zugelassenen Zusatzeinrichtung nach FTZ-Formblatt 18-13.1940.00. Trotzdem beschlagnahmten die Polizisten "Akustikkupplung", "Tastenelement" (C64-Computer), Floppy, Fernseher, Spannungswandler, Mehrfachsteckdosen und - das ist das gravierendste - persönliche Daten aller Art auf "viereckigen Scheiben". Die Polizisten überhörten die scharfen Proteste bei der Beschlagnahme der Daten und nahmen eine Reihe privater, nicht genau archivierter Disketten mit. Beschlagnahme ohne Protokoll ist rechtswidrig. Aber was helfen Argumente oder Datenschutzgesetze gegen bewaffneten Gehorsam?

Die zu Unrecht Beschuldigten informierten darüber, daß ihre Floppys nicht einmal versiegelt wurden. Anstelle des verlangten Protokolls erhielten die beiden Datentouristen nur die Visitenkarte eines der Beamten. Die Geräte durften nicht einmal verpackt werden, sondern mußten auf Verlangen der Polizisten so in den Kofferraum des Peterwagens geladen werden, daß die Inbetriebnahme der Geräte durch die Polizei ohne lange Kabelei möglich war. Den Beschuldigten wurde außer einem durch Postsachverständige entkräftetem Verdacht nichts vorgeworfen, die Beschlagnahme geschah auf "ausdrückliche Anweisung von oben".

Klartext: Höhere Dienststellen der Polizei meinen, durch Funk besser informiert zu sein als Sachverständige der Post vor Ort.

In dieser Anmaßung liegt ein Stück Polizeistaat.

Die jetzt in der Zeitschrift "Bürgerrechte und Polizei" von CILIP, Berlin veröffentlichten bislang geheimgehaltenen Gesetzentwürfe (ZAG usw.) dokumentieren den gegenwärtigen Versuch des Staates, das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürger zum informationellen Selbstbedienungsrecht der Sicherheitsbürokratie zu machen.

Widerstand dagegen ist Bürgerpflicht.

Für eine knappe Woche waren die beiden Jugendlichen ohne Computer und eine Menge persönlicher Daten. Sie wissen nicht, wer alles bei der Polizei ihre Daten kopiert hat und was mit dem Computer geschah: Auf welchen Dienststellen wurde er von welchen Fachkräften in Betrieb genommen? Wurde damit gespielt?

Zwar führten sämtliche telefonischen Anfragen schon am Tag nach der Beschlagnahme zu der ständig wiederholten Auskunft, daß die Geräte abholbereit wären, weil nichts vorläge. Die Jugendlichen hatten, um Verwechslungen der Geräte auszuschließen, sogar alle Kaufbelege für die Geräte zusammengesucht. Doch die Abholung wurde zur Odysee zwischen mehreren Dienststellen.

Zudem besteht der Verdacht, daß eine Dienstanweisung der Polizei hier all denen, die einen lockeren persönlichen Umgang am Weltdatennetz pflegen, Knüppel zwischen die Finger werfen will. Denn die beiden Beamten handelten auf Anweisung.

Derartiges Vorgehen bewirkt, daß die BRD computermäßig ein Entwicklungsland bleibt. Sogar die DDR gestattet inzwischen sowohl Betrieb als auch die Einfuhr von Computern; bei Akustikkopplern denkt sie noch nach.

Eine kurze juristische Übersicht ergibt neben alltäglicher polizeilicher Willkür Anlaß zu verschiedenen Beschwerden:

1. Es wurde keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt, das ist ein Verstoß gegen VwGO Par.59.

2. Ein Beschlagnahmeprotokoll gab es nicht, obwohl es verlangt wurde. Par. 107 StPO schreibt vor: "Dem von der Durchsuchung Betroffenen ist nach deren Beendigung auf Verlangen eine schriftliche Mitteilung zu machen, die den Grund der Durchsuchung (Par, 102, 103) sowie im Falle des Par. 102 die Straftat bezeichnen muß. Auch ist ihm auf Verlangen ein Verzeichnis der in Verwahrung oder in Beschlag genommenen Gegenstände, falls aber nicht Verdächtiges gefunden wird, eine Bescheinigung hierüber zu geben".

Par. 109 StPO: "Die in Verwahrung oder in Beschlag genommenen Gegenstände sind genau zu verzeichnen und zur Verhütung von Verwechslungen durch amtliche Siegel oder in sonst geeigneter Weise kenntlich zu machen".

Par. 110,3: "Dem Inhaber der Papiere oder dessen Vertreter ist die Beidrückung seines Siegels gestattet; auch ist er; falls demnächst die Entsiegelung und Durchsicht der Papiere angeordnet wird, wenn möglich, zur Teilnahme aufzufordern".

Bedenklich stimmt der Stil, mit dem die Polizei "undefinierbare Verkehrsverstöße" verfolgt. Bei der Befragung unserer Rechtshilfedatenbank fand sich unmittelbar vor Par. 317, "Störung von Fernmeldeanlagen" folgender Paragraph:

"Par, 316a Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer"

(1) Wer zur Begehung eines Raubes (Par. 249, 250), eines räuberischen Diebstahls (Par. 252) oder einer räuberischen Erpressung (Par. 255) einen Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeuges oder eines Mitfahrers unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs unternimmt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr".

Bei einer Woche Computerentzug durch staatliche Willkür ist dieser Paragraph irgendwie naheliegend.

Die Macht der Polizei mißt sich daran, wo für sie gilt, was für andere gilt.

Eine Entschuldigung ist das mindeste.

bullen14.ws 8512040007

 

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