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Minus Delta talks

Auszüge aus einem Brainstorming 15.3.1988

m: Mike (Minus Delta t)
e: Eva (Frau an Bord)
p: Poetronic (Dichter)

m: Was ich nicht sehen will in dieser Hackerei: Irgendwelche Romantik-Geschichten, die kompetente Leute - wozu ich auch Wau zähle, und die ich einfach phantastisch finde von Technik und Motorik - da abziehen.

p: Der Chaos Computer Club - so wie ich die Leutchen kenne -, das ist die inhomogenste Versammlung von Menschen, die mir jemals begegnet ist. Wobei der Computer dabei zu sowas wie einem sozialen Katalysator wird. Ein Katalysator ist ja eigentlich ein Stoff, der sich selber nicht verändert, aber verändernd wirkt. Du stellst einen Computer hin, und davor findet sich einträchtig eine Schar von Menschen zusammen, die, würden sie sich in einer Kneipe treffen, sich nie im Leben anquatschen würden oder gemeinsam an einen Tisch setzen. Aus allen ideologischen Bereichen. Da findest du den Althippie mit Sandale und Karotte im linken Mundwinkel genauso wie einen Typen, wo du sagen möchtest: Junge Union. 'Nen Typen, der in elf Vereinen ist. 'Nen Typen wie Wau, wo du glaubst, der kommt grade aus dem Dschungel, sowas Waldschrathaftes. Vic, so ein Schmaler Schneller, Ingeniöser, mit seinem Porsche. Und dann noch so ein paar wilde Düsentriebs. Und die sitzen alle traulich vor dieser Maschine. Der Haufen ist auch deshalb interessant, weil: Wenn du eine Sache durchsprichst mit allen, dann kriegst du ein derartiges Interessensspektrum zusammen, eine derartig scharfe Argumentationsanforderung, daß wirklich nur die besten Gedanken und Argumente durchkommen.

m: Aber wer selektiert denn? Das ist der Punkt.

p: Es gibt in bestimmten Situationen bestimmte Leute, die selektieren. Jeder ist für sich ein Entscheider, weil die Autorität relativ locker und situationsbedingt im Club herumwandert.

m: Jetzt kann ich ja mal von mir her erklären, weshalb wir überhaupt so viel über die Geschichte reden.

p: Das wundert mich schon längst. Ich wollte eigentlich überhaupt nicht über Computer reden.

m: Ja. Es geht jetzt nicht um Computer. Es geht darum, daß ohne Zweifel die Leute in diesem Bereich irgendwann in den nächsten fünf Jahren gesellschaftliche Verantwortung übernehmen werden, wollen, was auch immer. Kompetente Gutachter werden. In welcher Form auch. Sie werden wie heilige Kühe behandelt und sind eigentlich von A bis Z, ich sag's wieder: Betrüger.

p: Ne heilige Kuh schmeißt das BKA nicht um sechs Uhr morgens aus dem Bett.

m: Das ist die Partisanennummer, wo man dann sagt: Ja, damals, und so.

p: Worüber wir reden, das sind alles verschiedene Aspekte ein und desselben Gegenstands. Du kannst auch sagen: Ein und desselben Menschen. Diese verschiedenen Seelen, Gedanken und Ansätze, die hat jeder drin. Die romantische Ecke auf der einen Seite. Dann schnappst du wieder um in so einen wilden, aufklärerischen Impetus und sagst: Hau weg den Scheiß, oder sonstwas.

m: Ja, aber gewisse Freiräume, die gemacht werden, und die etabliert werden - und zwar durch die Praxis und sonst nix - und hingestellt werden, existieren dann als Referenzen. Und der ganze CCC und auch gewisse andere Leute - auch Sachen, die wir als Gruppe immer gemacht haben -, sind als Referenzmodelle möglich: Daß es auch anders geht. Irgendwann ist ja der ganze Schei ß total zubetoniert...

p: Du bist soo negativ.

m: Sicher zubetoniert. Stimmt doch. Weil ich die ganze Zeit immer neue Freiräume aufmachen muß, wo eine gewisse Generosität oder eine gewisses - verstehste, philosophisch gesehen - Freidenkertum da ist und nicht ein Clubdenken, ein kommerzielles Denken, ein Sektendenken, oder eine philosophisch vorgefertigte Schablonennummer.

p: Möglicherweise ist es so.. Du bist ja immer im Fronteinsatz, und meine Art zu arbeiten und zu wirken ist anders, nämlich mit dem Schreiben. Du stehst jedesmal vor einem Mysterium. Du schreibst ein Buch, das wird verkauft, 10.000, 20.000 Stück, die verschwinden im Nichts. Du weißt überhaupt nicht... du redest, wenn du Glück hast, mit ein paar Leuten, die dein Buch in die Hände gekriegt und gelesen haben. Der Rest verschwindet und versickert. Du weißt nicht, was du wirkst. Ob du wirkst. Ob du jetzt nur was wie ein Papiertaschentuch gemacht hast, reinschneuzen, weg. - . Und ich weiß auch, ich muß jeden Tag mein Glaubensbekenntnis ablegen und mir sagen: Ich weiß, daß es mit Sprache geht. Es ist ein virulentes Arbeiten. Es hat nicht so eine Unmittelbarkeit, wie wenn du direkt im Raum arbeitest.

m: Es geht ja nicht nur direkt um Raum.

p: Vielleicht ist das ein berufsbedingter Optimismus, den ich hab.

m: Gut, du hast einen berufsbedingten Optimismus. Hast vielleicht im Delirium angefangen, hast ein paar Modelle dokumentiert. Ich bin jetzt vollkommen subjektiv. 'Delirium' jetzt nicht negativ: Mit einer gewissen Ehrlichkeit. Genauso wie die ganzen Chaosleute auch angefangen haben mit einer gewissen Ehrlichkeit: Erzählen wir doch mal, was wir denken, was wir fühlen, wie abgefahren man ist, das ist lustig.

p: Delirium ist ok in der Hinsicht. Ich mach ein Bild: Du kannst sagen - ich will das jetzt nicht überdramatisieren -, wir haben jetzt den Übergang von der Eisenzeit in die Siliziumzeit. Und du hast mit dem Delirium insofern recht, als alles, was wir heute machen, was die Hacker machen, auch wenn's einem so vorkommt, als wär man eine Avantgarde, als wäre das das neueste an HiTech, was es gibt, nix anderes sind als Dinge, die simplen Höhlenkritzeleien entsprechen. Der Computer hat im Augenblick eine Roheit, das'empfindet jeder, der längere Zeit damit arbeitet. Es ist eigentlich eine Vergröberung, Verschlechterung, ein Rückschritt gegenüber den Arbeitsweisen, die man bisher gehabt hat. In vielerlei Hinsicht. Das ist ein digitaler Faustkeil. Von daher: Delirium ok. Kleines Beispiel. Ich wollte mir neulich ein neues Klingelschild für draußen an der Tür machen, mit meinem Namen. Wenn ich noch eine Schreibmaschine gehabt hätte, hätt' ich einen kleinen Zettel eingespannt und draufgetippt. Bis ich das in meinem Matrixdrucker entsprechend justiert habe, die Textverarbeitung eingerichtet, die Datei "Klingels.doc" geschrieben, abgespeichert und zum Druck aufgerufen habe, bin ich alt. Hab ich's mit dem Filzstift geschrieben und mir gedacht: Wozu hab ich 3000 Mark für das System ausgegeben?

e: Das sind ja auch immer solche einmaligen Geschichten. Du machst ja nicht jede Woche ein neues Klingelschild.

p: Das war einfach eine Möglichkeit, die mir die Schreibmaschine geboten hat, und die am Computer weggefallen ist.

e: Das ist eine einmalige Verzögerung, aber dadurch doch auch 'ne ständige Beschleunigung.

p: Du kannst sogar eine Ästhetik draus machen. Wie ist die Bauhaus-Asthetik entstanden? Die ist entstanden daraus, daß die damaligen Möbelmaschinen nichts anderes konnten, als total dumpfe, schlichte, rechtwinklige, unornamentierte Dinge herzustellen in Serienproduktion. Genauso die ganzen Computerkrakeleien, wo du irgendwelche wilden, groben Pixelkörner am Bildschirm siehst.

m: Jetzt aber nicht abschweifen, sondern auf den Punkt zurückzukommen. Daß z.B. von einer oralen Gesellschaft - ich zitier jetzt konkret McLuhan: nämlich, daß die Schrift einiges verändert hat. Und die Schrift auch, obwohl es kein Problem war, zu einem Machtprogramm wurde. Der Schreiber im Dorf etc.

p: Wir machen ja jetzt gerade den Versuch, überzugehen von der Schriftkultur in die digitale Kultur. Ins digitale Alphabet, Null, Eins.

m: Richtig. Und die Vision der Veränderung der digitalen Dinge ist dir auch noch nicht klar. Und ich arbeite jetzt an diesem Brainstorming, NICHT einer Feststellung von was möglich ist, oder von irgendwelchen Stories, Anekdoten.

p: Ich bin durch die Gespräche in den letzten Tagen ziemlich angekurbelt, weil wir einfach frei phantasiert haben. Sachen durchgedacht haben, ohne Rücksicht auf Verluste.

m: Mir geht's jetzt nicht um Rücksicht auf Verluste. Mir gehts darum, die Sache noch weiter zu treiben, Psycho-Hacking, Kochrezepte, Minderheitenprogramm. Dann: Was ich immer wichtiger finde, ist diese Realitäts-Geschichte. Ich hab' mittlerweile einfach drei Geschichten, die von den Parametern so beeinflußbar sind, daß - wenn du jetzt eine neue Generation von Kindern aufziehen wirst, was die für einen Realitätsbegriff haben werden.

p: Wir haben ein dickes Problem hier in Europa, oder in den westlichen Kulturen. Das ist mir auch in Ägypten aufgegangen: nämlich der Individualismus. Das ist ein sehr großes Problem. Wenn du ein Individuum bist, brauchst du ja eine Privat-Realität. Ich hab mich in Ägypten mit einer jungen Koptin unterhalten, die war 24. Arbeitet seit fünf Jahren als Tour Managerin für ein Reisebüro. Vor drei Jahren ist sie zum ersten Mal, weil jemand krank geworden ist, nach Oberägypten gefahren mit einer Reisegruppe. Zum ersten Mal aus Kairo weg. Da hats erstmal wilde Schlachten mit ihrer Familie gegeben. Ein unverheiratetes Mädchen, das die Nacht nicht zuhause verbringt - das geht nicht. Da hat sie riskiert, daß sie am Rande zum Nutten-Ansehen steht. Mutter zweimal täglich anrufen, Oberägypten ok. Dann ist sie nach Oberägypten gefahren, mit der Gruppe auf ein Schiff gegangen und hat als Tour Managerin eine eigene Kabine bekommen und hat mir gesagt: Dann, in der Kabine, war sie zum ersten mal in ihrem Leben alleine in einem Zimmer. Und sie ist total ausgeflippt, weil sie nicht wußte, was sie tun soll. Ob sie zusperren soll. Hatte immer nur Angst, daß da jemand Fremder reinkommt. Horror. Und dann ist mir klargeworden: Es ist sinnlos, sich mit ihr über so einen Begriff wie 'Privatleben' zu unterhalten. Vollkommen sinnlos. Weil ich erst mindestens tausend Jahre europäischer Kulturgeschichte dazuerzählen müßte. Ich brauch'mindestens ein halbes Jahr, bis ich ihr erklärt habe, was ich meine.

m: Das ist jetzt der Punkt. Das ist das, was ich vorhin mit Tradition auch meinte. Daß z.B. da noch gewisse Denkprozesse funktionieren und sicher noch 30, 40 Jahre funktionieren werden. Und ich wiederhole, daß z.B. unsere Desorientierung der letzten Jahrzehnte, nämlich "Privatisierung", der Bedürfnisse, der Vorstellungen...

p: Du mußt die Leute privatisieren, wenn du ihnen viele Produkte verkaufen willst. Du mußt die Familie aufspalten, du mußt die Großfamilie aufspalten. Eine Großfamilie kauft sich nur einen Fernseher. Das sind 20 Leute, die in einem Haus wohnen und alle in denselben Fernseher stieren. Die mußt du erst aufspalten, die Großeltern in eine Wohneinheit, die Eltern in eine und die Kinder in eine, dann kannst du schon drei Fernseher verkaufen.

m: Das ist aber nicht mein Problem. Wenn ich z.B. zum Benjamin gehe, dann hat der seinen Fernseher in seinem Zimmer, der andere hat auch einen TV und dann haben sie noch einen TV in der Küche. Und im Badezimmer auch noch.

p: Ich weiß. Ich hab drei Computer hier liegen, zwei Videorecorder...

m: Ich glaub, das Problem... Das Bewußtsein des Privatlebens ist hier in Europa so entwickelt, daß das eben so funktioniert, während man sich vor zehn Jahren noch gestritten hat: Ich will Fußball sehen, und ich will aber die Inge Meysel sehen.

p: Mit den neuen digitalen Videorecorder kannst du das machen. Zwei Programme auf einem Bild.

m: Oder parallel aufnehmen, und das andere Programm später gucken. Das ist aber jetzt im Westen hier. Und das sind die dreißig Jahre Vorschuß, und das sind die Geschichten, die, wenn einer sich wirklich drauf spezialisiert - und da gehören wir wahrscheinlich auch mal dazu -, als Navigator die Informationen in die richtigen Kanäle zu verteilen und zu verdealen. Z.B.: Ich geh nach Ägypten und in die Türkei und checke, was die dort brauchen und hab die richtigen Connections, muß nur meine Kartei durchgucken, wer produziert was, was brauchen die dort unten, welches Programm wird sie interessieren. Bin ich die ganze Zeit... mit so einem System wie "Infermental" hab ich permanent 100 Leute im Kopf, weiß, wer was benutzt. Hier in Hamburg hab ich schon fünf Leuten Bescheid gesagt, direkt neue Infos gekriegt, komm' dich einmal besuchen, hab' neue Infos. Hab' das alles drin, als Navigator. Könnte ich theoretisch verdealen. Wird auch verdealt werden in Zukunft.

p: Du weißt ja auch, daß das mein Prinzip ist. Deswegen hab ich hier mein aufblasbares Kaffeehaus. Meine Audienzen.

e: Das ist ein Vorwurf gegen mich, den ich von Benji eingefangen hab. So diese Navigatorgeschichte: zwei Tage in Hamburg, fünf Wohnungen an der Hand, und die gleich wieder weitergeben, und Jobs...

p: Benjamin ist grade aus so einem Geschwindigkeitsverlauf wieder ausgestiegen. Und das geht ihm zu schnell, das mag er nicht im Augenblick.

m. Benji kommt jetzt in eine Sache rein: weg von der Maschine, nur noch Bodyfeeling, so in diese Richtung. Menschliche Wärme, weißgottwas. Diese ganze Geschichte. Ich möcht' wieder Natur haben. Ob jetzt positiv oder negativ, ist mal außer acht gelassen. Der ist soweit reingegangen mit den Computern - für sich -, daß er da wieder Distanz haben muß. Es geht mir aber nicht um Computer. Du hast jetzt mit dem Individuum vorgegriffen. Ich wollte das mit der Arbeit noch ausführen. Nämlich die Grasmuck-Theorie. Die Arbeit ist vom Stolz her abgeschrieben, bis vielleicht fünf Prozent, die noch stolz sind auf ihre Arbeit..

p: Hier bei uns im Westen.

m: Da gehören teilweise noch gewisse Künstler dazu. Ich rede jetzt vom Westen als der Avantgarde einer Informationsgesellschaft, und: Wie sieht die gesunde Kultur einer westlichen Gesellschaft aus in Zukunft? Eine Kultur, wobei ich glaube, daß die Bedingungen einer gesunden Kultur mehrere sind, nämlich: ein gewisser sozialer Code und gewisse soziale Grundsätze. Jede gesunde Gesellschaft hat einen Freiraum, der frei von Gedanken ist, in Anführungszeichen.

p: Konstruktive Hirnlosigkeit.

m: Ja, z.B. Meditation ist konstruktive Hirnlosigkeit. Kirche, weißgottwas, Architektur, Freiräume. Früher war der Begriff Freiraum auf Land, Space, also Material bezogen. Heute im Westen ist der Begriff Material immer mehr in Zeit umgesetzt. Wechselt vom Geld zum Zeitbegriff.

p: Hast du eigentlich das Gefühl, daß die Hacker, oder die Computerleute den Kampf um den Raum schon aufgegeben haben?

m: Vorläufig haben sie ihn vergessen. Laß mich jetzt mal ausreden. Die Geplänkel mit Raum, die ganzen Computergames sind noch auf diesem Raum-Kampf-System, Go, oder schachmäßig aufgebaut. Das wird wechseln. Da hoffe ich schon auf die Transputer. Obwohl dann die Zeit-Geschichte - infinite CPU-time - wo, du es verstanden hast, haben die Jungs - interessiert mich nicht mehr - nur aus Space gearbeitet. Wenn die Polizei auch immer noch auf Space abfährt, und die Hacker auch, da wird nichts rauskommen. Das ist die totale Schizophrenie. Und trotzdem wird's Partisanenwert kriegen, das ist das Gefährliche. Romantik. Das wird dann Fake.

p: Ich kann mit Romantik gut umgehen. Weil ich ein Romantiker bin und immer wie ein Tier gegensteuern muß beim Schreiben. Das gibt auch eine ungeheure Produktivität.

m: Ja, die Romantik ist von der Poesie her eine Geschichte. Aber da ist es nicht Poesie, sondern inhaltliche Uberbrückung einer Leere. Da wird die Nostalgie und die Vergangenheit...

p: Das ist so ein Problem. Ich bin Romantiker, aber ich hasse Romantik, vor allem, wenn ich schreibe.

m: Wenn du Wau heute sagst: Du hast fünf Jahre lang nicht nachgedacht, sondern nur reagiert, dann überbrückt ein Wau das in zehn Jahren, indem er sagt: Damals war das voller Action. Und wenn du ihm sagst: Da ist garnichts gelaufen, dann kommt er mit Zeitungsartikeln an, zeigt dir, was da gelaufen ist, macht Blablabla, was WIR damals geleistet haben, wir sind ja damals verfolgt worden. Und dieser ganze Kack, das ist gefährlich. Es geht um eine gesellschaftliche Verantwortung. Das klingt jetzt vielleicht vollkommen doof. Ich sag': Wenn wir uns als sowas sehen wie die Konstrukteure oder die Erhalter oder die Bewußtmacher einer gewissen neuen westlichen Kultur - neuen Kultur heißt einfach: die Entwicklung des individualistischen Begriffes in eine Kultur-, sind wir auch verantwortlich, daß diese Kultur lebensfähig wird und nicht No Future und dekadent wird. Und eine Kultur braucht Freiraum. Dieser Freiraum hat früher Kirche, was hatten wir noch gesagt? - Hirnlosigkeit, Zen-Buddhismus, weißgottwas, der aber - ob das jetzt Zeit ist oder Raum, ist vorläufig noch egal - einfach Garantie von gewissen Räumen hat, die steuermäßig von allen bewußt oder unbewußt bezahlt werden, aber als Dogma, als Gesetz...

p: Das, wovon du redest, ist mein Hauptkritikpunkt am Entwurf von >sowas wie Künstlicher Intelligenz. Einen Entwurf vom Menschen zu machen, der auf ein Ideal angelegt ist. Auf Vollendung. Das sind so Dinge, die fange ich langsam an als große Illusionen zu durchschauen.

m: Es geht nicht um Vollendung.

p: Doch. Und zwar in einer Weise, die... Ich muß den Begriff Vollendung nochmal bestimmen. Jetzt muß ich ein kleines bißchen ausholen: Ich bin kein großer Mathematiker, aber über den Computer habe ich angefangen, mich ein bißchen mit Geometrie zu beschäftigen, weil's interessant ist und weil ich ein visueller Mensch bin. Man kann sich das immer gleich anschauen, was man ausprobiert am Computer. Dabei hab ich den Begriff "Euklidische Geometrie" zum ersten Mal verstanden. Das ist die Lehre von idealen Grundelementen, aus denen die Welt besteht: die gerade Linie, die ebene Fläche, die kugelrunde Kugel. Ideal und Vollkommenheit. Das sind die Urbilder in dieser Geometrie, und das sind Formen, die findest du nirgendwo in der Natur. Du findest nirgendwo in der Natur eine gerade Linie, du findest nirgendwo in der Natur eine vollkommen runde Kugel...

m: . . . außer bei Kristallen und chemischen Geschichten.

p: Und auch da ist es nicht vollkommen. Es gibt immer mindestens submikroskopische Fehlerhaftigkeiten, Unreinheiten, Einschlüsse, Verschiebungen, Spielräume, Fluktuationen. Da jetzt herzugehen und so einen statischen, cleanen Entwurf vom Menschen zu machen und sowas wie Künstliche Intelligenz, wo alles, das unrein ist und fluktuiert, was du eben mit Freiraum bezeichnest, eliminiert und beseitigt ist, das hat für mich nichts mit irgendwas, was ich mir unter Ideal oder Vollendung vorstellen könnte, zu tun.

m: Darum geht es ja in dem, was ich auszudrücken versuche, nicht.

p: Das ist die Möglichkeit von Kultur: Vielfalt, Vermischung, Diffusion, Intensitäten... Du kannst z.B. auf elektronische Weise, wenn du versuchst, ein Hirn zu simulieren - Transputer sind ein genauso rohes Modell da, aber zum ersten Mal in der zweiten Dimension, d.h. du hast nur eine Ebene von Prozessoren nebeneinander. Da ist noch gar kein Raum. Von daher ist das immer noch dieselbe Höhlenmalerei. Und du hast mit elektrischem Strom nur die Möglichkeit: an oder aus. Du hast nicht, so wie die Signale im Kopf weitergeleitet werden nach dem, was man heute weiß, als chemoelektrischer Prozeß. Mit diesem Prozeß kannst du auch Intensitäten regeln, mit denen Daten oder Informationen ankommen. Du kannst streuen. Das kannst du mit einem elektronischen System nie machen. Oder nimm einen Organsimus: das ist ja immer ein rekursives System. Das bezieht sich immer wieder auf sich selber. In der Künstlichen Intelligenz bezieht sich Intelligenz immer nur auf ein chirurgisch freitheoretisiertes Stück vom Geist, alles andere fehlt.

m: Halt. Ich nagel dich jetzt kurz fest. Emotionale Grundlage als Basis des Denkens. Da bin ich nicht ganz einverstanden.

p: Schau. Die Augen melden einen Zustand. Der Zustand wird übersetzt, also da zittert irgendwas den Augennerv rein und das wird als eine Organbefindlichkeit, und erstmal als Emotion wahrgenommen.

m: Nochmal Halt. Was du jetzt grade beschreibst, ist Reaktion. Das ist: von außen nach innen. Es gibt auch noch was anderes.

p: Aktion.

m: Du hast emotionale Grundlage nur als rezeptive Geschichte gesehen, und ich geh davon aus, daß ein menschliches Wesen... daß es ein paar Basiswerte, die, abgesehen von der elektrischen Mechanik z.B. im Computer 101010 sein könnte, sowas wie Grundwerte in der Urzelle oder in der Gen-Geschichte drin sind, wie Triebe oder vorgegebene Emotionen drin sind. Egal, ob da eine Reaktion von draußen da ist oder nicht. Genauso wie ich denke, in dem Molekül Mensch sind gewisse Basisinformationen drin, die vollkommen selbstständig funktionieren. Ob da was rein- oder rausgeht, ist vollkommen egal..

p: ..das Betriebssystem. Die DNS.

m: Genau. Nicht nur Betriebssystem. Denn ob es gebraucht wird oder nicht, ist eine andere Frage. Und da geh' ich weiter, daß das z.B. gesellschaftlich gesehen auch so ist. Und daß da ein paar Basisgeschichten drin sein müssen, daß, was ich vorher angedeutet habe, ein gewisser Denkfreiraum dasein muß, daß ein Moralbegriff da sein muß, und der Moralbegriff ist eine Sprachgeschichte. Eben nicht nur zu reagieren auf alles, was auf mich einstürzt und die volle Paranoia zu kriegen...

m: Das ist mir aber wieder zu einfach.

p: Du mußt irgendwo anfangen. Klar ist das einfach, aber ich war schon froh, daß ich dahin gekommen bin. Einfach daß du eine Nivellierung ziehst durch alles, ob das ein Flugzeugabsturz ist oder in Äthiopien wieder Leute verhungern. Wenn ich das im TV sehe und nicht darauf reagiere, das nicht unmittelbar in eine Handlung umsetze - ob eine symbolische oder eine körperliche -, in eine Tat, dann ist es für mich Unterhaltung. Wenn ich es nur wahrnehme. Wenn ich anfange und eine Entscheidung treffe und sage: Das ist jetzt eine Information, die ist für mich verbindlich, weil ich feststelle, da passiert was, dann ist es keine Unterhaltung. Das ist dann Information.

m: Wenn du jetzt von deinem Trip, von deinem Ritual aus entscheidest, nur auf Blau zu reagieren: dann kannst du dich vollkommen künstlich darauf trainieren, nur auf Blau zu reagieren und alles andere zu ignorieren. Der Mensch ist von seiner Rezeptionsfähigkeit her fähig, bis Auschwitz - das nehm ich als Ertragungsgrenze - sich vollkommen zu spezialisieren, wenn er will. Aber nicht für immer.

p: Aber ich habe angesichts der Medienrealität es unheimlich nötig, eine Kontrollinstanz zu haben. Ich hab' die Kopf-Intelligenz und ich hab' die Körper-Intelligenz, und ich habe ein unheimliches Vertrauen in die Intelligenz meines Körpers. Ich mache mal eine paradoxe Formulierung: Die Art und Weise wie der Körper denkt, das nennt man Gefühle. Das ist für mich eine Kontrollinstanz gegenüber der Kopf-Intelligenz. Und das, was die Körper-Intelligenz erzeugt, sind Gefühle. Ich hab in der Zwischenzeit wieder gelernt, gerade angesichts elektronischer Medien und des Computers, mich sehr sehr fein auf meine Gefühle zu verlassen bzw. Gefühle zu präzisieren, und die dann auch genau zu beschreiben versuchen, als eine Basis.

m: Das ist ja viel komplizierter als du denkst.

p: Selbstverständlich.

m: Schon bei der Kopfintelligenz spaltet sich das in Simulacra, Simulation und Realismus, schon wenn du nur fernsiehst.

p: Dann hab ich den Begriff Simulacra falsch verstanden.

m: Du kannst vom Simulacra etwas nachempfinden, das du im TV siehst, wenn du irgendeine Information in deinem Kopf gespeichert hast, die ein Aha oder Deja-vue erzeugt von einer Geschichte, die du schon miterlebt hast und nur das Visuelle..

p: Warum soll ich mich nicht über ein Gummi-Nilperd freuen, das irgendwo in Disneyland rumschwimmt?

m: Aber du produzierst dann eine Information, die Simulacra in deinem Kopf wird. Auch wenn's nicht stimmt. Und dann entsteht Mediamystik. D.h. ohne daß du's willst, nimmst du assoziativ Bilder im TV auf, wo du z.B. nur auf Blau reagierst, weil du blaue Bilder gemalt hast. Und dann kriegt ein blaues Bild, das eine vollkommen andere Realität oder einen anderen Sinn im TV hat, und theoretisch in Zukunft auf jedem Rechner, kriegt für dich über diese Assoziationsgeschichte einen vollkommen neuen eigenen Wert.

p: Das ist die Interpretationsfreiheit, die ich vorhin mal erwäht habe.

m: Richtig.

p: Die Herrschenden können nicht mehr kontrollieren, wie die Nachrichten interpretiert werden.

m: Das mein' ich ja jetzt. Und das meinte ich auch vorhin: Was passiert mit einer Generation von Leuten, die nur mit einem Realitätsbegriff aufwachsen, zwischen eigener Realität - Individualismus -, einer Macht-Realität, die ihnen aufgezwungen wird - z.B. Hausdurchsuchung, Arbeit, ein Simulacrabegriff, den sie überhaupt nicht mehr kontrollieren -, und Sachen, die deklariert Simulation sind? Das sind schon einiges an Realitäten.

p: Man möchte meinen, daß es langsam Zeit wird, daß die Transputer kommen. Daß wir langsam lernen, auch parallel die Realitäten zu verarbeiten.

m: Die Steigerung der Schizophrenie oder der Psychopathie wird SO hart ansteigen und die Ausfälle, die es geben wird, werden SO hart sein.

p: Ich mach manchmal Gedankenspiele, aber ich kann mir nicht andeutungsweise vorstellen, wie das gehen soll, parallel zu denken. Ich glaube trotzdem daran, daß man das trainieren kann. Ich mach andere Arten von Training. Z.B. manchesmal beim Arbeiten, nachdem ich bemerkt habe, daß es keine Droge gibt, die mir beim Arbeiten irgendwie förderlich ist - das ist alles Illusion, sowohl LSD als auch Koks, da bist du im Zustand der Euphorisierung der Ansicht, daß du was Geniales geschrieben hast, und wenn du dann wieder nüchtern bist und du liest das, dann hast du ziemlich heiße Luft geschrieben. Jetzt such ich aber immer Möglichkeiten, die Intensität ganz nach oben zu fahren. Einerseits hab ich diese erotischen Sachen gemacht, ganz alte Situation: Der Maler und sein Modell. Nur hab ich nicht gemalt, sondern geschrieben. Und das ist eine Sache, die mach' ich schon lange. Das andere ist, daß ich mir manchmal eine Frontaltherapie geb': Da schalte ich den Fernseher ein ohne Ton, dann mache ich Musik dazu und dann kann ich das schon ziemlich fein dosieren, die Reizschwelle, den Ansturm, der kommt. Ziemlich hochfahren bis zu einem Pegel, wo ich genau merke: jetzt hab ich auf der einen Seite einen unheimlichen inneren Widerstand aufgebaut, der diesen Ansturm von mir fernhält, weil ich mich konzentrieren will und schreiben. Und diesen Widerstand aufzubauen, das ist - mit ein bißchen Training - unheimlich konstruktiv: dazu brauchst du Kraft, und diese Kraft, die man dabei freisetzt, die kannst du produktiv auch für's Arbeiten verwenden.

m: Das ist der heilige Antonius, die Geschichte.

p: Das ist kein heiliger Antonius. Das ist wie schwarzer Kaffee.

m: Der heilige Antonius, der drei Nächte geschrieben hat und gebetet hat und die Teufel tanzen um ihn 'rum.

p: Ach so.

m: Das ist auch das Stück "Wirrkopf", was wir in Graz gemacht haben. (..) Wenn es auf Entertainment rausläuft - da ist vielleicht deine Theorie von Information und Unterhaltung ganz wichtig - wenn die Leute nämlich alles als Unterhaltung ansehen, was ja auch Gefahren nach sich zieht -die Pop-Welt-, dann ist es für sie kein Problem, und dann werden sie nicht verrückt. Oder sie werden erst später verrückt.

p: Das ist ein Problem, das kenn ich vom Schreiben. Wenn du lernst zu schreiben, dann - ich hab mit vielen Kollegen schon darüber geredet - da fängt jeder kleine Schriftsteller erstmal an zu trainieren. Das sind ein paar Jahre, wo man sich auf die eine oder andere Weise in Details verliert. Du lernst, genau zu beobachten und du lernst, mit Sprache zu reagieren auf Dinge, d.h. du siehst was, du erlebst es fertig, aber schon etwas dezidierter, und dann machst du eine Formulierung daraus und präzisierst eine bestimmte Sache. Da hab ich auch hunderte von Seiten zuhaus gehabt, mit so kleinen Splittern. Für sich genommen wunderbar. Immer so ein Miniatur-Universum, mit so einem kathedralischen Gefühl, diese Ruhe, wenn man auf etwas einen zweiten Blick wirft und diese eigenen Räume, die man da aufspannen kann, auseinereigenen Sprache. Und nichts paßt zusammen. Es ist ein riesiger Schrotthaufen, und du kannst keine Geschichten schreiben. Du schreibst immer nur Splitter, bist gleichzeitig so einem Authentizitätszwang verpflichtet. Nur die Wahrheit! Ich kann da nicht einfach noch einen Satz dazuschreiben, das ist nicht wirklich passiert. Auch so ein Realitätsproblem. Der Mut, Fiktion zu machen, das ist für viele Leute schon ein richtiger Schritt. Das ist bei mir dann wieder umgeschlagen. Ich hab das soweit getrieben, bis ich fast autistisch war. Also, wo ich rumgelaufen bin ganz hochspezialisiert in der Reaktion auf Sprache..

m: ... alles Blau...

p: ...daß ich mich total gestört gefühlt habe, wenn mich irgendwer angesprochen hat... Muß ich noch dazusagen, weil ich da noch in Osterreich war: In Österreich wird Mundart gesprochen, Dialekt. Ich habe mir aber beigebracht, Hochdeutsch zu denken. Jetzt ist das dann so: Du machst eine Wahrnehmung. Dann siehst du einen weissen Radiergummi, auf dem ein Honigtropfen liegt und glänzt. Da machst du einen Satz draus. Das bedeutet dir wahnsinnig viel. Da klingt Musik, das ist die Weit im Kleinen, die die Weit im Großen zeigt. Dann triffst du jemanden, den du kennst, und er erzählt dir irgendwas, oder er fragt dich, wie's dir geht, und du denkst dir, du kannst ihn jetzt nicht anlächeln und ihm sagen: Auf einem Radiergummi glänzte ein Honigtropfen. Das ist nicht direkt kommunizierbar. Das ist schon im Zeremoniell der Literatur und ist für die direkte Kommunikation nicht mehr geeignet. Diese Form von dem, was ich damals für Literatur gehalten hab'. Am Ende, da hab ich eine Liebesgeschichte gehabt, und ich bin manchesmal auf der Bettkante gesessen, nachdem wir gevögelt haben - wir haben uns wunderbar verstanden, es war ein harmonisches Verhältnis -, und ich hab' mir gedacht: Wann ist unsere Liebesgeschichte endlich zuende, damit ich die Geschichte davon schreiben kann. Weil: eine Geschichte braucht einen Anfang und ein Ende. Die Literatur hat sozusagen gefordert, daß diese Geschichte zuende geht, weil ich schon ungeduldig geworden bin. Ich wollte die Geschichte schreiben. Ich bin fast verrückt geworden dabei. Da mußt du dann langsam in die richtigen Dimensionen hineinfinden.

m: Die Dimension ist... es gibt da zwei Tendenzen, glaub ich, generell, in der individualstischen Gesellschaft. Die eine ist erst seit ein paar Jahren, das sieht man auch an der Werbung: Jeder soll mal Urlaub machen. Freizeit. Ein neuer Pluralismus kommt jetzt rein. Jeder darf machen, kann machen, was er will. Die echte Demokratie..

(Mike macht eine Schachtel Zigaretten sorgfältig auf)

p: Man merkt, daß du mal im nichteuropäischen Ausland warst.

m: Wieso?

p: Da tun sie einem immer so kleine Zärtlichkeiten an. Das ist, man schämt sich hier in Europa ja fast, Dienstleistungen zu genießen. Wenn du in einem Restaurant sitzt - was hier sowieso nur in extrem seltenen Fällen passiert -, und das Gefühl hast, daß du gut bedient wirst, das ist einfach ein Gefühl. Das ist wie eine Zärtlichkeit. Wenn jemand edel, mit genau der richtigen Dosis aus Zurückhaltung und einer in Jahrhunderten herangereiften Kunst, Leute zu bedienen und jemandem in kleiner Weise was Gutes zu tun... Du kannst hier kaum über sowas sprechen, ohne daß die Leute auf dich einschlagen als Reaktionär, Imperialist, Kolonialherr oder so. Es ist immer noch ein Denktabu auf dieser Emotion, vor allem deshalb auch, weil sie bei uns eh so selten ist. Es ist sozusagen schon mit Unlust verbunden, sich bedienen zu lassen. Das ist irgendwie peinlich. Und wie's mir in Ägypten gegangen ist: Du bestellst bei einem netten Nubier in einer Bar einen Gin Tonic. Dann kommt der mit dem Glas, und du merkst an seinem Gesichtsausdruck: es ist jetzt eine ernste Frage, wie viele Würfel Eis man in einen Gin Tonic reintun soll. Es ist ein Problem, das man aber gemeinsam bewältigen wird. Das hat einen gewissen Ernst, weil: Das ist nun dieser Augenblick. Und in diesem Augenblick geht's darum, wie viele Würfel Eis in den Gin Tonic sollen. Und er hilft dir dabei, genau auf die richtige Art und Weise. Bringt dann die Eiswürfel in den Glas unter, schüttet das Tonic rein und holt dann noch unter seiner blauen Galabeja einen uralten Suppenlöffel raus und rührt, und auf eine ganz gemessene Art und Weise versetzt er das ganze in Bewegung, vermischt die Stoffe, stellt dir das dann hin, lächelt dich an, hat seine Arbeit gut getan, merkt, du bist zufrieden, es geht dir gut und schwebt wieder weg. Das kost' nix, wunderbar. Das ist Lebensqualität. Wenn sie einen Aschenbecher ausleeren - eine Zeremonie. Eine Mini-Zeremonie, aber wunderbar. Plötzlich taucht ein Kellner hinter dir auf, und der hat einen leeren sauberen Glasaschenbecher. Dann legt er den verkehrtrum über den schmutzigen drüber, macht eine Muschel daraus, das klingelt dann ein bißchen. Und du wirst schon aufmerksam. Interessant, da geht was vor sich. Dann verschwindet er hinter deinem Rücken mit dieser Muschel in der Hand und taucht dann mit dem sauberen Aschenbecher wieder auf und stellt den hin. Ein kleines Ritual, aber wunderbar. Die ganze Zeit solche Geschichten.

(Das Aufnahmegerät streikt)

p: Der Walkman will nicht. Die Maschine ist mein Freund, verstehst du. Er macht's mir schwer, unsere heißen Gespräche aufzuzeichnen. Er will nicht, daß das BKA kommt und die Bänder mitnimmt.

m: Dieses schlechte Gewissen Dienstleistung gegenüber. Ich glaube, daß diese Generation bis 1960 das schlechte Gewissen nicht hat. Das sind die '68er. Das ist diese Generation, die Linken.

p: Das ist doch die Scheiße, Mike. Wir müssen uns für die jetzt den Kopf zerbrechen. Die dummen Hunde hängen herum.

m: Ja, aber jetzt noch ein Stück weiter: Ich glaube, daß die Generation von Leuten überhaupt keine Bedenken mehr hat in der Richtung, sondern auf alle Reize reagiert, weil sie einfach nichts Befriedigendes hat.

p: Die haben jetzt ein mörderisches Nachholbedürfnis. Warst du mal dort, wo ich mit dem Fotomodell gewohnt hab? Ganz feudale Wohnung.

m: War ich einmal.

p: Da... tack. Schwarzes Loch. Gib mir mal nen Tip, was ich grade sagen wollte.

m: Da in dieser Wohnung...

p: Da in dieser Wohnung, da war was. . . m: Dieses mörderische Nachholbedürfnis.

p: Jaa, tack. Danke. Und zwar, da haben wir Nachbarn gehabt, das waren wie von Seyfried gezeichnet so Alt-68er. Er war Architekt, saß immer grummelnd vor seinem PC herum. Hatte immer Nadelstreif-Latzhosen an, so ziemlich das Ungustiöseste, was ich mir vorstellen kann. Und beide hatten den Ausdruck von jahrelangem schweren Frust im Gesicht. Da ist mir einfach klargeworden, auch wie sie sich mir gegenüber verhalten haben, uns als Nachbarn gegenüber, daß die ein unheimliches Nachholbedürfnis an Spießigkeit haben. Weil das was war, wogegen sie sich wohl die ganze Zeit wie wild abgegrenzt haben ein Jahrzehnt lang, wogegen sie sich gestemmt haben, und da ist ihnen jetzt der Saft ausgegangen. Oder sie haben nachgelassen und jetzt schlägt es durch.

m: Es ist ja kein Geheimnis, daß die Bürokraten die faulsten Menschen überhaupt sind und sich zu neunzig Prozent aus diesen Leuten rekrutieren, auch aus dem Verantwortungslosigkeitsprinzip.

p: Was Arbeit angeht, da hab in Ägypten ein menschliches Perpetuum Mobile gesehen. Das war herrlich. In einem der schönsten Bauwerke der Welt, in dem Taltempel der Hatschepsut in Dar-el-Bahh. Da bin ich den ganzen Nachmittag nur dort gesessen und war sprachlos. Da wird an der obersten Tempelstufe restauriert, ein polnisch-Ägyptisches Gemeinschaftsprojekt. Und dieser Taltempel, der ist in eine herrliche Kulisse reingebaut. Steht da vor Plateaubergen, Treppen, die sich aus den Bergen vor dem fruchtbaren Land in die Landschaft ergießen, herrlich. Dahinter - das ist in so eine milde Schale aus Bergen eingefaßt-steigen so Schutthänge zu den Steilwänden hoch. Einer von den Schutthängen reichte bis zu dem Rand von dem Tempel, wo sie grade renoviert haben. Da saß einer ziemlich weit unten und hat aus der Halde immer Steine rausgesucht, aber mit Überlegung, der hat selektiert nach - man möchte fast meinen: ästhetischen Prinzipien. Hat immer Steine von einer gewissen Handlichkeit, oder von einem bestimmten Gewicht rausgesucht, meinte ich zu beobachten. Hat die in eine Schubkarre gelegt, und wenn die Karre voll war, kam einer von hinten - da haben sie sich so einen kleinen Pfad gemacht in der Schutthalde -und fuhr damit zehn Meter nach hinten. Da haben sie ein dreigeschossiges Gerüst aufgebaut, Stahlrohrkonstruktion, wildest. Da ging, über drei Ebenen verschoben, bis auf die erste und zweite Ebene ein Flaschenzug, und da haben sie dann die Schubkarre eingeklinkt und hochgezogen und ein Meterchen rübergefahren zum nächsten Flaschenzug von der zweiten auf die dritte Ebene. Da stand dann wieder einer und hat das hochgezogen. Dann stand die Schubkarre also oben. Dann kam wieder einer, der mit der Schubkarre dann oben so einen kleinen Pfad, den sie gemacht haben, wieder die Richtung zurück fuhr und die Steine aus der Schubkarre die Halde runtergeschüttet hat. Und die Steine sind dann wieder ungefähr dort hingekollert, wo der Mann saß, der immer die Steine sortierte. Und das hab ich mir immer wieder den Nachmittag hindurch angeschaut. Ich weiß nicht, ich glaub das machen die seit 5000 Jahren. Da sitzen die dort, nur das Gerüst haben sie jetzt neu gekriegt, und tragen die Steine im Kreis herum. Es ist unglaublich. Ich weiß auch, warum die Ägypter so müde sind. So nachlässig und faul manchmal. Die sind immer noch müde vom Pyramidenbauen. Die versuchen seit 4000 Jahren, sich zu erholen. Das muß eine derartige Schufterei gewesen sein. Mumford hat ja gesagt, das war die erste Maschine, die Menschenstruktur beim Pyramidenbau. (..)

m: Stellvertreterkultur: In gewissen Kulturen kommst du wieder zu dem sozialen Code. Der soziale Code, der eine Investition aller ist. Die Motivation, oder die Art und Weise, wie es passiert, ist im Grunde genommen vollkommen egal oder unterschiedlich. Ob das jetzt ein Gebet ist oder eine Steuerzahlung. Nicht Kommunikation, das unterscheidet sich insofern: Es gibt im französischen den Ausdruck Lac de gratuit. Das Geschenk, Shestus in Indien, wo die Leute hingehen, wenn sie nichts zu essen haben und Essen vor die Götterstatue stellen. Oder im Mittelalter werden riesige Kirchen, Dome gebaut, mitten in der Landschaft, wo die Leute nebendran in irgendwelchen Hütten pennen und leben und kaum was zu essen haben, und aber in diesem Dom nichtmal leben, was ja für den heutigen Begriff von Leben, Loft, Besser Wohnen... heute hat jeder im Kopf: Ich bin Pharao, ich möchte leben wie ein Gott.

p: Hab' ich vorhin doch gesagt: Die Aristokratie kommt wieder. Jeder ist ein König, jeder ist ein Pharao. Du hast deine Sklaven am Schreibtisch stehen. Du hast deinen Computer.

m: Aber die Funktion der Aristokratie war in den letzten 200, 300 Jahren was anderes, nämlich die Garantie für diesen Freiraum, für kulturelle Verfeinerungen, für Basis, wenn das Geld nicht da war, wenn die Möglichkeiten nicht da waren, die Leute nichts zu essen hatten, die Volkssuppe. Oder die reichen Leute, die einfach soundsoviele Leute mitgefüttert haben, oder die Organisation von Volksfesten, die Organisation oder Mitfinanzierung von gewissen sozialen Freiräumen, wo die Aristokratie diesen Großmut und diese Geschichte übernommen hat. Als Gegenbeispiel des kulturellen Problems heute: Mietet sich ein Mensch eine Wohnung und nimmt sie nicht, weil er sagt: Ich nehm lieber eine Dreizimmerwohnung, weil da ist sonst ein Zimmer zu viel, oder das muß ja wenigstens ein Gästezimmer sein oder eine Funktion haben. Also eine Wohnung zu mieten, in der ein Zimmer vollkommen frei besteht, das existiert fast nicht.

p: Du bist dir darüber im klaren, was du sagst mit deinen Freiräumen? Daß das letztlich bedeutet, daß der größte verallgemeinerbare Freiraum der ist, der uns vom Militär freigehalten wird. Nämlich der Freiraum, den man so Zivilisation nennt, der zivile Bereich. Das, wo du Zivilist sein kannst, wo du ohne Kampfhandlungen deine Socken kriegst, deine restlichen sozialen Aktivitäten abwickeln kannst, wie weit die oder wie radikal die auch sind. In dem Augenblick, in dem du militärische Aktionen machst, verläßt du den Freiraum.

m: Hat gar nix damit zu tun. Militärischer Freiraum, das Exempel gefällt mir nicht so..

p: Wieso nicht? Ich finde manchesmal militärische Denkmodelle interessant. Wenn ich mir eine Landschaft anschaue, frag ich mich manchmal, wie wohl ein General die Landschaft sieht. Ich schau mit dem ästhetischen Auge drauf, und der General zieht seine Versorgungslinien und Vormarschlinien durch, egal ob da ein Haus steht oder ein Fluß ist. Der sagt: die Panzer fahren da durch, und die fahren in einem geraden Strich da durch. Das ist wie beim Landvermessen.

m: Das ist aber jetzt eine andere Geschichte. Du gehst vom General aus, du hast jetzt wieder das mit den Pharaonen etwas falsch verstanden, vielleicht wieder von mir nicht richtig erklärt. Mir geht es immer noch um den sozialen Code. Ein sozialer Code ist ein gemeinsames Gefühl von gemeinsam investieren, das ist eine Geschichte. Muß es aber nicht sein. Aber so eine Geschichte kann auch eine funktionsfreie Kommunikationsebene sein. Das Erste ist eine Ruhe, die Gedanken in einem Raum sind, will nicht sagen: frei, aber wenn ich dran denke, daß ich in zwei Stunden, drei, fünf Stunden was zu tun habe, sind meine Gedanken von der Konzentration im Grunde genommen schon woanders. Irgendwo ist da ein Warteprogramm, ob Kaffeekochen oder egal was. Wenn ich aber hingehe und z.B. - Thailand, das System der buddhistischen Klöster, wo jeder Thailänder - das ist in Nepal ebenso -, einmal in seinem Leben in dieses Kloster reingeht und, als soziale Verantwortung getarnt: ich muß was für Buddha undsoweiter tun, aber im Grund jede soziale Verantwortung auch wieder abgibt, in dieses Kloster reingeht. Geht auch Axel Springer, drei Wochen wird er zum Mönch. Und Axel Springer gerät in ein anderes System ohne einen Freiraum, wo er morgens um 6 aufstehen muß, vollkommen demokratisch, alle den Kopf rasiert undsoweiter, und auf die Straße gehen muß und seinen Reis betteln muß. Vollkommen gleich behandelt. Also Axel Springer, stell dir vor, geht hier ins Trapistenkloster. Was kriegt er? Er kriegt erstmal eine separate Kapelle, er kriegt einen Fernseher in die Zelle, Privileggeschichte. Ich erklär' das Problem, daß diese Gleichheit, diese Demut in diesem zwar vorgegebene Konzept, wo jeder weiß, daß es abstrakt ist, akzeptiert wird und als sozialer Code, gesellschaftlich. Jeder ist- durch diese Demut durchgegangen. Frau wie Mann. Und schon vorhin erzählt - da hab' ich vielleicht dieses Wort nicht gebraucht -, wie ich die Geschichte der Hand beschrieben habe, die ich am Computer zu konstruieren versucht habe. Da entsteht sowas wie Demut. Nämlich angesichts dessen, was die Maschine nicht kann. Das wird für mich ein Negativabgleich. Die Maschine ist kein Mensch, mit dem ich das gleiche Erlebnis hab', aber die Maschine ist ein Modell vom Menschen. Ich habe neulich in einer Diskussion selber eingeworfen, wenn man schon versucht, immer perfektere Modelle vom Menschen zu konstruieren - also die Idee weitergedacht - im Computer, warum nimmt man da nicht gleich lebendige Menschen. Das ist sozusagen das Perfekteste, was es in der Bauserie im Augenblick gibt. Da, hat Vic gesagt, kannst du z.B. nicht an beliebiger Stelle Prozesse unterbrechen, das Ding aufmachen, reingehen und an jeder beliebigen Stelle Zustände ablesen.

m: Das war aber möglich. Das ist in Kulturen möglich gewesen, wo z.B. in gewissen religiösen Ritualen Medien und Material waren. Sklaven eines Konzeptes, genauso wie die Pyramiden. Klar wird das negativ gewertet, wenn man sagt: Der Mensch als Maschine, oder als Teil der Maschine. Aber in so einer Geschichte ist natürlich als Gemeinsamkeit ein Teil von so einer Geschichte zu sehen. Ist natürlich ein Erlebnis, wo irgendwelche Massengefühle erstmal... braucht man eine Maschine, um einen Menschen zu simulieren. Eins. Und zwar ist das intellektuelle Niveau dermaßen Kommunikation, two ways, so verdammt reduziert. Und das gleiche ist mit dem Fernsehen. Und auf dem dritten Level kann man sagen: Daß zum Beispiel das Allerhöchste an Qualität, von Massenveranstaltungen oder von Massengefühl, ist leider Gottes Fußball, oder Olympia-Eröffnung, war nicht schlecht.

p: Wieso leider Gottes? Fußball ist auch so eine Sache wie Computer, die alle Menschen aus verschiedenen - oft männlichen Geschlechts - ideologischen und philosophischen Bereichen verbindet.


Säzzer-Quiz:

Wieviel Prozent des gedruckten Textes sind von Eva gesprochen worden?

(Zur Erinnerung: Am Gespräch haben zwei Männer und eine Frau teilgenommen.)

0 33% (Quote)
0 5%
0 1%
0 .5%

Die Person, die die falsche Lösung bis gestern an den Chaos Computer Club einsendet, gewinnt eine Jahresabonnement einer feministischen Zeitschrift.


m: Es geht jetzt um die Synchronisation von Gefühlen. Um Code. Um Sprache. Sozialer Code nenne ich jetzt eine Sprache auf einem anderen...

p: ...Das sind ja auch Gegenbilder, Fußball und Computer. Auf der einen Seite hast du ein Massenzeremoniell. Auf der anderen Seite hast du mit dem Computer - ich hab das hier noch unterstrichen durch meine Pharaonen am Schreibtisch, und balinesische Tempeldämonen -, dann seh ich manchmal einen Tischaltar vor mir stehen. Von der Form her, und von dem her, was ich daran tue. Ich vollziehe mein tägliches Ritual an diesem kleinen Hausaltar. Das ist wieder mal eines von diesen vielen Modellen, die du über den Computer denken kannst. Da kann ich z.B. auch ein Bild machen, wenn ich sage: Ich kann mich manchmal in der Vorstellung in Merlin, den Magier verwandeln. Auch bloß mit einer gewissen kleinen Formveränderung im Design des Instrumentariums. Statt der Kristallkugel steht da der Bildschirm.

m: Das ist jetzt alles noch im Bereich der Unterhaltung.

p: Nein, da kommen tatsächlich verbindliche Informationen raus. Dinge, die ich über mich selbst und über die Welt erkennen kann.

m: Das find ich jetzt interessant. Was sind "verbindliche Informationen"?

p: Ich hab vorhin dieses ganz plumpe Modell mit Information und Unterhaltung gemacht. Und verbindliche Informationen, das sind für mich die, auf die ich reagiere und zwar mit meinem Gefühl. Als erstes. Das ist sozusagen die erste Anzeige, wenn sich da im Gefühl irgendwas tut, dann wird eine Information interessant. Dann fang ich an, im Kopf nochmal zu überprüfen, ob die für mich verbindlich sein kann oder ist. Dann treffe ich die Entscheidung. Alles andere geht nur durch. Durchlauferhitzer. Das ist Unterhaltung. Vorne rein, hinten raus. Da bleibt natürlich manches hängen, das mischt sich.

m: Ja, da bleibt einiges hängen. Es ist halt die Frage, was hängenbleibt. Jetzt nicht negativ gewertet.

p: Muster. Muster bleiben hangen. Das ist z.B. was, was du am Computerauch sehr gut lernst:

Muster zu erkennen. Daß das eigentlich eine wahnsinnig interessante Sache ist. Ganz wertfrei: Muster und Strukturen siehst du, wo du vorher noch nichts gesehen hast. Und kannst dadurch bestimmte Dinge wieder besser in die Hand nehmen, besser denken oder machen.

m: Ich will jetzt vom Computer wieder wegkommen. Ich find diese Geschichte, immer wieder auf den Computer, nicht ganz so wichtig.

p: Du bist aber auch selber schuld, du hast mich jetzt so angekurbelt. Da fallen mir dauernd irgendwelche Sachen ein.

m: Ich will das auch nicht negativ sehen. Ich meine einfach, daß es um die Frage geht in unserem Brainstorming, Computer als Modell, als bewußtseinserweiternde Geschichte, die hab ich hier auch Psycho-Hacking genannt, die Feuer-Geschichte, andererseits die Geschichte mit der Hand, und dann auch Modelle durchprobieren, die man eigentlich mit Menschen auch machen "könnte". Und so praktisch die ganze Geschichte des Computers als menschliches Testprogramm machen, wieso nicht mit Menschen, wie du auch..

p: Weißt du, was ich dir sage: Du kannst auch einen negativen Aspekt daraus machen, wenn du sagst: Wieso nicht mit Menschen? Der Computer hat eine Eigenschaft, die man ihm schon gut anrechnen kann: Er ist unendlich tolerant. Du kannst einen Fehler tausendmal hintereinander machen, er wird dich mit unendlichem Gleichmut immer weiter deinen Blödsinn machen lassen, so lange, bis du's vielleicht selber... Er macht dich drauf aufmerksam im Extremfall, daß du einen Fehler gemacht hast, er gibt dir eine Zustandsmeldung...

m: Es geht ja nicht um Fehler, um Technik. Es geht um Philosophie. Du kannst grundsätzlich jede Situation durchsimulieren. Fast jede. Theoretisch kannst du Auschwitz nachsimulieren. Gibt's ja schon Computergames.

p: Das ist nicht, was ich unter Simulation verstehe.

m: Das ist reine Simulation. Ich treibe es jetzt ein Stück weiter, ich gehe auf die Grasmuck-Theorie zurück: Arbeit als Philosophie ist in der Dekadenz. Arbeit als Identifikation existiert kaum noch, es sei denn, es hat direkt mit Unterhaltung zu tun. Die Leute gehen im Westen doch den Weg des geringsten Widerstandes, d.h., die Werte einer Arbeit werden mit Unterhaltung oder einer Lebensqualität gleichgesetzt, ob es jetzt Geld ist oder...

p: ...oder mit Forschung. Ich muß leider schon wieder den Computer erwähnen. Und zwar, wir haben so einen Zustand, in dem du eigentlich meinen könntest: die Welt ist entdeckt. Und es geht nur noch um ein paar unwesentliche Details, z.B. darum, was eine halbe Sekunde vor dem ausgebrochenen Urknall passiert ist, genau am Anfang. Was ab der halben Sekunde danach passiert ist, wissen die theoretischen Physiker schon. Du kannst nicht mehr, so wie im 18. oder 19. Jahrhundert noch das Allgemeinwissen deiner Zeit als ein Mann überblicken. Man wird so verunsichert. Du wirst kleingemacht durch das Gefühl: du kannst als Einzelperson gar nichts mehr entdecken, nichts mehr erforschen, Du brauchst mindestens einen Teilchenbeschleuniger, Großtechnologie, Kernresonanzspektrometer, Computertomographen, diese ganzen teuren, riesigen Dinger. Oder Spezialistenteams, die sich vorher schon 20 Jahre auf der Uni das Hirn ausgerissen haben. So. Und dann kommt plötzlich genau aus dem Sektor so eine kleine Maschine, der Computer, der in einem Jahrzehnt eine Leistungsfähigkeit erreicht, sodaß du eben, was grade noch in einem Rechenzentrum an Leistung rumstand vor drei vier Jahren, plötzlich auf deinem Schreibtisch steht. Und du hast die Möglichkeit, damit zu forschen, zu arbeiten, als Einzelner, als privater Mann..

m: Gut, aber es interessiert niemanden mehr außer dir selber, diese Forschung.

p: Das stimmt überhaupt nicht. Da muß ich bitteschön auf die Hacker hinweisen, als kleines Beispiel...

m: Du kannst die Hacker als die ewige Reaktionsgeschichte, Kontrollinstanz, nicht immer wieder als Inhalt aufführen.

p: Das ist ein Inhalt, der ist akut. Es gibt bestimmte Inhalte, die sind zu bestimmten Zeiten der Geschichte akut, da. Dann verschwinden sie wieder und andere sind dran.

m: Die Hacker sind allerhöchstens eine Avantgarde und eine reaktive Kontrollinstanz, die inhaltlich an einer Philosophie nicht mitarbeiten, sondern nur, indem sie Grenzbereiche schaffen, wo gewisse Machtwerte in Frage gestellt werden, interessant sind. Sie sind Friktion, sie pushen etwas. Sie pushen gewisse Machtkompetenzen, die einerseits fast vollkommen unumschränkt von gewissen Leuten gemacht werden, ob jetzt Information, Wissenschaft oderandere, und pieksen da mal rein. Und dann perfektioniert sich die Geschichte. Das ist nichts anderes, zur Zeit. Es ist keine Vision bei diesen Leuten da, es ist nur Unterhaltung, oder computergamemäßig Forschung zu machen. Probieren, tüfteln, reagieren, Squash spielen, sonst nichts. An dem Punkt sind wirjetzt schon lange angelangt. Und du kannst nicht immer wieder die Maschine... und das passiert, und das passiert. Arbeit, sicher, Arbeit ist alles. Aber es gibt "Beschäftigung" und "Arbeit", und da ist ein Unterschied. Und das ist Beschäftigung, was diese Leute machen. Inhaltlich leben sie vielleicht nach drei,vier Jahren davon, unabsichtlich, als riesige Software-Spezialisten oder Hardware-Spezialisten, engagiert in einem Bereich, wo sie gar nicht wissen, wo sie sind. Wo sie sich nie 'mit identifiziert haben, außer mit einer Technikgeilheit. Oder eben diesen zwei Gründen. Und was anderes nicht.

p: Da triffst du jetzt wieder einen wunden Punkt. Da bin ich mit meiner Arbeitsrichtung auf einer Insel, weil das tatsächlich im Augenblick ein aktuelles Problemteilchen ist. Weil viele von den Hackern so in ein Alter kommen, wo sie an Existenzgründung denken. . .

m:...denken müssen...

p: ...Ja, und im Augenblick sich die merkwürdigsten Dinge abspielen. Es entstehen Konkurrenzen zwischen Leuten, die vorher traulich im Schulterschluß mit Selbstverständlichkeit ihren Spaß gehabt haben, gearbeitet haben, geforscht haben, ohne daß von Geld auch nur die Rede war. Und plötzlich machen ein paar von ihnen mit einer sehr ähnlichen Idee zwei Läden auf, Firma. Plötzlich ist da ein gewisser Frost zu bemerken, Kommunikationssperre. Dinge werden vertraulich behandelt. Da schleicht die Paranoia herum.

m: Das ist ja wieder: Da wird eine Geschichte, die mal Spaß war, zu Geld und dann wird's komisch für die Leute. Und da gibt es überhaupt keine inhaltliche Diskussion, wofür, für was, überhaupt nichts. Vorbei.

p: Das geht ja. Ich hab ja auch das, was mir Spaß macht, zu meinem Beruf gemacht. Ich bin Berufskind - in sorgfältiger Unterscheidung zu dem Begriff Berufsjugendlicher..

m: ..Berufsjugendlicher, Berufsromantiker...

p: Nein, ich bin KEIN Berufsjugendlicher. Ich bin Berufskind. Ich kann es mir endlich erlauben, in Ruhe fertigzuspielen. Es gibt einen schönen Satz von Nietzsche, der hat mal gesagt: Man muß als Mann den Ernst wiederfinden, den man als Kind beim Spielen hatte. Das schreib ich mir ins Wappen - falls ich mir mal eines zulegen sollte.

m: Ich gehe trotzdem weiter. Seit einer Stunde will ich diesen Satz zuende sagen.

p: Du bist immer noch nicht dazu gekommen, die Grasmuck-Theorie auszuführen. Aber ich bin immer noch mit dabei, Mike.

m: Ja, gut. Und diese Geschichte von - ich wiederhole es jetzt - daß 1/5 der Gesellschaft 4/5 der anderen durchziehen könnte. Was heißt das jetzt materiell gesehen? Daß in einer Gesellschaft, in der 1/5 arbeitet, ein monetäres System... Stell dir vor, 1/5 der Leute, die alles produziert, zahlt 4/5 der anderen Leute, die nicht arbeiten - ich sage nicht, daß sie sich nicht beschäftigen -, also, die nicht arbeiten in diesem Sinne, zahlen denen Material, damit sie sich was kaufen können, was essen... Wie funktioniert das? Wie wird das entschieden? Was ändert sich gesellschaftlich, wenn dieses monetäre System, das bisher jahrhundertelang funktioniert hat, nicht mehr existiert? Oder: Es ist doch vollkommen abstrus oder dekadent, wenn 1/5 der Leute, sozialgeldmäßig nämlich, 4/5 der Leute bezahlt, damit sie ihnen, dem 1/5, was abkaufen, egal ob man da ein Turnussystem oder irgendwas anderes macht.

p: Geld ist eine Sache, über die mach ich mir viel zu wenig Gedanken. Da hast du eh recht. Da hab' ich nur ein ganz schwaches Verhältnis dazu. Ich bin froh, wenn ich eine Freundin hab, die meine Kassa verwaltet, so eine kleine Yoko Ono.

m: Es geht jetzt nicht um Geld, sondern was sich gesellschaftlich dann ändert.

p: Ja, ich mach mir auch in der Folge um die weiteren Geldstrukturen keine Gedanken.

m: Es geht jetzt nicht um die Geldstrukturen, sondern darum, daß die Informationsgesellschaft mit sich bringt, daß eine gewisse...

p: Das wird ja auch vereinheitlicht. Das war ja eines der ersten Dinge, die digitalisiert worden sind. Geld fließt doch auch nur noch in Form von Datenströmen.

m: Ja, aber das ist vielleicht umverteilbar...

p: ...und die Datenströme erreichen zwischendurch Realitätsgrade bis hin zu dem Börsenkollaps. Das ist ja auch eines von den neuen, ganz großen Videospielen. Die internationale Börse.

m: Das ist auch ein Videospiel, das sich als Videospiel degradieren wird. Was heißt: In Zukunft werden gewisse Informationen mit der gleichen Qualität, oder mit dem gleichen Wert, behandelt werden wie Geld. Und das werden irgendwelche wichtigen Informationen sein, von...

p: Ja, eine Hyper-Abstraktion. Ist ja Geld schon eine Abstraktion von realem Wert. Ob du jetzt ins Spielcasino gehst und einen Jeton kriegst, der eine zweite Abstraktion von Wert ist, oder ob du digitales Geld nimmst, oder Banküberweisungen, wo nur noch Ziffern hinundherflutschen, das ist schnurz. Das ist dasselbe.

m: Ich meine jetzt, der letzte Imperialismus - was ich meinte mit dem Westen. Wir zahlen eine Monopolisierung des Informationswertes. Es wird ein Monopol. Nur wird es dann sehr lustig, weil das Gremium aus einer Demokratie von Werten bestehen wird, die einfach so pervers und so krank und so durcheinander sein werden, daß es wieder als Übergangsphase - ich schätze so in 20,30 Jahren-eine Mischung von Grünen bis Linksradikalen bis Pornoleuten bis Politik... - wird alles gemischt sein. Und da wird ein Cocktail zusammengestellt von Informationen, was was wert ist, und es wird - deine Einblendung von lnformations-Navigatoren -, es werden Leute sehr gut bezahlt werden, daß sie die richtigen Informationen an den richtigen Ort bringen. Und das werden die Leute sein, die gewisse Geschichten kontrollieren werden.

p: Dieser Beruf vom Navigator, der ist ja in der Vorstellung auch schon mit einem gewissen Optimismus ausgestattet. Weil, es gibt eine andere Perspektive, wenn du dir die Entwicklungen in den Datenbanken momentan anschaust: Da ist immer die Verheißung, das Wissen der Menschheit steht uns zur Verfügung. Die Realität ist aber das exakte Gegenteil. D.h. es wird das Wissen der Menschheit vergraben und versteckt, halt nicht mehr in Löchern, Höhlen und Truhen oder lateinischen Übersetzungen, sondern in Datenbanken. Du hast eine ganz klare ökonomische Barriere, d.h. das Monatsabonnement für eine Datenbank, sagen wir über die geologische Struktur Unteritaliens, geht im Schnitt bei 100 Mark im Monat los, aufwärts. Das sind alles Fachdatenbanken, hunderte. Etwas ungeregeltere und freie Formen von Informationsaufnahme wie z.B. durch ein Buch schlendern oder durchblättern, schmökern, kreuz&querlesen usw., das fällt schon mal weg. Wieder eine Verrohung der Informationsaufnahme. Und dann gibts noch die Sperre: du kommst an Datenbaken nicht ran, wenn du das Knowhow nicht hast - da käme dann wieder der Navigator zum Einsatz -, wenn der überhaupt noch zum Einsatz kommt. Weil: Wenn das so weitergeht, wenn ich jetzt mal ausnahmsweise auch schwarz malen darf, kann es durchaus sein - wenn du nicht mehr WEISST, was es zu wissen gibt, dann kanst du es auch nicht suchen und schon gar nicht finden. D.h., das Prinzip der humansitischen Bildung oder der klassischen Allgemeinbildung...

m: Da wird es zwei Versionen geben. Entweder man nimmt, was kommt, oder es werden sich gewisse Leute. . .

p: ... wie Fernsehprogramm...

m: ...fernsehprogrammäßig meinungsmäßig aufbauen, die sagen: Das und das ist wichtig. Aber ich glaube, daß noch ein anderer Punkt wichtig ist, rein von der Gesdellschaftsstruktur her, wenn man jetzt z.B. die BKA-Geschichte anguckt, diese total hilflosen Polizisten, und andererseits die total hilflosen Hacker. Und dann gibt's Leute wie mich, oder andere Leute - ich werd' von diesen Leuten schon ziemlich gut behandelt. Ob es jetzt die Hacker sind, oder die Musikszene, oder von gewissen Leuten aus der Kunstszene, einfach aus dem Grund, da ich jetzt schon in einem gewissen Sinn eine philosophische Navigator-Funktion habe.

p: Klar, wir haben doch alle schon an deinem Mythos mitgearbeitet, Mike. Du hast eine Verpflichtung.

m: Das ist schon klar, daß ich eine Verpflichtung hab'. Ich hab' von Anfang an auch sehr bewußt gesehen, daß ich diese Verpflichtung hab' und auch haben will. Jetzt natürlich: die Gefahr ist, daß ich irgendwann gedacht hab, ich helfe dabei. Aber ich hab' mich nie damit abfinden können und fühl mich sehr schlecht dabei, daß jetzt die Leute sich drauf verlassen: Der wird das schon für uns machen, und selber gar nichts machen.

p: Da bist du selber mal mit dem Stellvertreterproblem konfrontiert.

m: Absolut. Das steht jetzt nicht zur Diskussion. Was zur Diskussion steht, ist, daß du vom gesellschaftlichen Status, wenn ich den Grasmuck nehme, wie er im Institut für Mathematik und Datenforschung z.B. eine Aufgabe gehabt hat, das war vor sieben Jahren: er mußte das ganze Institut - das sind schätzungsweise 1200 Leute, Angestellte, ist staatlich, ist Forschungsabteilung hoch hundert, Nähe Bonn, so 20 km von Bonn -, er war dafür verantwortlich, alles auf den neuesten Stand der Informationstechnik umzustellen und gleichzeitig - stell dir das mal vor: eine Person ist dazu da, die Orientierung der neuen Forschungsprogramme zu bestimmen. Dieser Mensch hatte in seiner Arbeit die Funktion und die Tätigkeit bestimmt. Kannste dir vorstellen, wie die ausgeflippt sind...

p: ...der Muezzin, der Vordenker.

m: Viel, viel einfacher. Viel diskreter. Er durfte - wieder auf einer ganz anderen Ebene, nämlich wo die Lösungen wieder falsch gesucht werden - als Betriebspsychiater, durfte er hingehen, beim Direktor - hatte einen Status über dem Direktor - in Bücherhallen gucken, ins Programm reingucken, bis hin zur Besenkammer, er durfte überall hin und stand abstrakt gesehen über allen. Ein Psychiater ist das auch. Und immer mehr Leute verlassen sich auf solche Leute und behandeln die Leute auch als.

p: Als ich in Fabriken gearbeitet hab', das waren immer die Leute, die mit der Stoppuhr neben dem Scheißhaus gestanden sind, oder neben dem Kaffeeautomaten. Die Rationalisierungsfachleute.

m:Ja, aber das ist jetzt eine andere Geschichte. Das ist ja nicht eine negative oder eine Push-Geschichte, sondern eine konstruktive Geschichte. Positiv gesehen.

p: Mücke weiß selber, daß er Arbeitsplätze wegrationalisiert.

m: Der Mücke weiß das. Aber der Mücke weiß z.B. auch, daß die... das war auch eine lange Diskussion: daß eine Gesellschaft ohne Arbeit, und das ist seine These, theoretisch vor dem Problem steht, neue Inhalte zu schaffen.

p: Richtig. Den Arbeits-Begriff neu zu bestimmen.

m: Jetzt ist z.B. die erste Geschichte: Verkürzung der Arbeitszeit hat nicht mehr Freiheit geschaffen für die Leute, sondern eher neue Probleme.

p: Du kannst z.B. neue Berufe erfinden.

m: Das ist auch meine Neigung.

p: Nicht nur in der Mikroelektronik oder in der Computer-Umgebung. Es ist die Zeit, du kannst dir heutzutage, eigentlich viel leichter - und zwar grade weil es schwerer geworden ist auf dem konventionellen Sektor - neue Berufe erfinden.

m: Ja, aber ohne daß es auf dem Daniel Düsentrieb-Trip landet, verstehste. Daß z.B. nicht die Europäer mit der neuen Informationsgesellschaft diesen neuen Donald Duck-Tick kriegen und sagen: Es ist eh nix wichtig, es ist geil und es bringt Kohle und einen Komplex kriegen, einen bürgerlichen Komplex..

p: Das ist Mickymaus, bitteschön. Micky ist der Spießer.

m: Ja, aber die ganzen Micky-Berufe, die jetzt erfunden werden, wo die Leute nicht stolz drauf sein werden, die dann zurückknallen: Ich möcht jetzt Schuhmacher werden, oder ich möcht Steinmetz werden. Das wird nämlich kommen. Die große Petra in Berlin, ja, hat zehn Jahre Szene gemacht, und Drogen und alles, und ist jetzt schon 37, und jetzt will sie in Bayern in eine Steinmetzlehre gehen.

p: Ach, das ist wie bei einem Freund von mir. Der hat sich ein halbes Jahr lang, weil er mit einer Maus aus einer Werbeagentur zusammen war, die 5000 Mark im Monat verdient hat, mir ihr zusammen jeden Tag einen Viertelmeter Koks reingesaugt, kriegt nach einem halben Jahr einen Nachmittag lang eine halbseitige Lähmung und trinkt dann zwei Wochen lang nur Kräutertee. Das ist so das Prinzip.

m: Ja, aber jetzt geht es darum, daß z.B. da überhaupt keine Beständigkeit, keine Vision und kein Stolz drin ist. Es muß, entweder von der Tradition her, dieser Fake "Traditionsgedanke", wo die inhaltlichen Gedanken flutschen gehen, weil das ganze nur noch eine Design-Geschichte ist - die Family ist Design,die ganzen 70er-Modegeschichten sind alles nur Designgeschichten, wo alle Inhalte, Motivationen oder Ursachen flöten gegangen sind..

p: Ich muß mal mit dir über meinen Roman reden. Weil da ist einiges von dem drin, worüber wir im Augenblick reden. Auf der einen Seite das Monumentale und Mythische. Also so eine Größe. Eine Vison. Daß du was Großes willst.

m: Neinneinnein. Monumental und visionär, laß mich das mal ausformulieren. Gesellschaft ohne Arbeit. Es geht um das Bewußtsein, daß das Monumentale, Mythische natürlich ein Problem ist in einer bewußten Gesellschaft. Das Dogma oder das Mysterium, was in jeder Religion ist, ist bis jetzt nicht aufgeklärt worden. Es ist nie voll aufgedeckt worden, wie einfach im Grunde genommen die Geschichte ist. Das sind Tendenzen im Zen-Buddhismus gewesen, das Nichts oder weißgottwas... im anderen Extrem jetzt Tendenzen da waren, die Einfachheit solcher Geschichten zu demonstrieren, aus der, sagen wir mal: eine Harmonie des Lebens besteht. Diese Geschichte ist verkleidet in Dogmen, in Gesetze gewesen, in gewisse Fixrituale, die in den Religionen stattgefunden hat, aber obwohl es natürlich vielen Leuten bewußt ist, daß in allen Religionen eigentlich der gleiche Kern drin ist. Und diese Geschichte ist jetzt in der unbewußten Phase des Verführtwerdens oder des Geführtwerdens in einem Ritual natürlich vorbei, von der Technik. Und dieses GEführt oder VERführt, bis hin zu einem Überleben der Mystik in der Sexualität in den letzten 20 Jahren, wo der Begriff des Echten Verknalltseins ja auch formuliert ist. To fall into love, z.B. Man sagt ja nicht: I go into love. Fall into love. Das istja unglaublich, daß mir das passiert ist. Die ganzen Spezialisationen.

p: Darüber haben wir uns ja auch schon mal unterhalten. Das ist eine wichtige Erfahrung, die wir schon gemacht haben. Daß es den Unterschied gibt zwischen dem, was du beschreibst: die romantische Liebe, die über einen kommt als Naturgewalt. Auf der anderen Seite die Erkenntnis, daß Liebe kein Gefühl ist, sondern eine Fähigkeit.

m: Gut, richtig. Und daß diese Fähigkeit auch konstruiert und aufgebaut werden kann und nicht einfach eine Geschichte ist, die einem passiert wie: Ich bin von meiner Mutter überrascht worden beim Wixen, und durch die Sensation beim Überraschtwerden, des schlechten Gewissens, meingottwas, hab ich gezittert. Also die Verschmelzung in eine Ekstatik von Körper und Geist. Dieses Jetzt-Moment, das man ja kennt, von der Musik, von einer Schlägerei, auch Hack-Sessions. Dieses Fieber, wo der Zeitbegriff von Zukunft - Vergangenheit einfach aufgelöst wird, und der Moment verlängert wird. Und das ist im Grunde genommen ein bewußtes Ritual.

p: So hat Einstein mal die Relativitätstheorie beschrieben. Wie sich die Zeit unterschiedlich wahrnehmen läßt, wenn du eine Minute auf dem Schoß eines hübschen Mädchen sitzt, und wenn du eine Minute auf einer heißen Herdplatte sitzt.

m: Und das ist z.B. diese Geschichte, wo ein vollkommen neues Bewußtsein erzeugt werden muß, wo man sagt: Ich verführe mich jetzt sofort freiwillig, jetzt, bewußt, sofort. Oder: Freut euch, sofort, freiwillig.

p: Aber das ist eher eine bedenkliche Richtung. Das ist so der Bildschirm als Spiegel des Narziß, wo du eintauchst.

m: Das ist geschädigt. Der ganze Symbolismus dieser Geschichten ist nur schädigend. Und da gibts einfach ein paar Negativbeispiele von Hare Krishna bis Sekten, die sagen: Freut euch sofort freiwillig, und dann krieg ich sofort einen schlechten Geschmack. Stimmt. Aber das System ist richtig. Es geht darum, bewußt in Sachen reinzugehen, in Zukunft, in Rituale, wo ich nicht sage: Das hätt' ich nicht gedacht, poh!, ist mir das passiert, poh!, jeder Tag, es muß mir was passieren! Die Leute sind total gegen die Unsicherheit eines geregelten Tagesablaufs, sind aber von der Unterhaltung und von der Erlebnisqualität nur darauf aus, mit Erlebnissen konfrontiert zu werden, die sie aufwühlen und die sie überhaupt nicht kontrollieren können, und die ihnen passieren.

p: Bei uns hat sich wirklich das lineare Modell, das die Schriftkultur gebracht hat, so eingeprägt, an dieser Linie, an dieser endlosen Zeile geschriebenen, gesprochenen, gedachten, gelesenen Zeile entlangfahren kannst wie an einer Autobusoberleitung, und gar nicht mehr in der Lage bist, oder ein Unsicherheitsgefühl kriegst, daß du sozusagen deinen Sicherheitsgurt auflöst, wenn du da rausgehst in einen nichtsprachlichen Bereich. Um aus dem Zeitgefühl rauszugehen, mußt du aus der Sprache rausgehen.

m: Und setzt sich dann lieber vor eine Maschine und macht ein Game, statt mit Leuten sich hinzustellen und zu sagen:...

p: Da kannst du aber dein Zeitgefühl auch verändern. Worüber wir jetzt eh schon ein bißchen geredet haben: Versuche, auf so Gleichzeitigkeiten zu kommen.

m: Und da sind wir wieder beim Code. Das meinte ich jetzt. Daß z.B. der soziale Code darin besteht, nämlich in Zukunft, in einer Gesellschaft, in der keiner mehr Arbeit hat, aber eine Beschäftigung hat, inhaltliche Geschichten zu schaffen, die gewisse Regeln unter den Leuten fördern, die aber bewußt sind. Wo jeder weiß: Ich verführe mich jetzt sofort freiwillig, zu dritt.

 

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